Zum Neustart des Kulturbereichs

Der Kulturbereich braucht eine Perspektive für den Neustart. Mindestanforderung ist die Gleichbehandlung des Kulturbereich gegenüber anderen Bereichen sowie Maßnahmen, die auch für kleine und mittelgroße Kultureinrichtungen umsetzbar sind. Unser Positionspapier zum Neustart des Kulturlebens.

Grundsätzliches

Außer Frage steht, dass die Bewältigung der Gesundheitskrise und damit Eindämmung der Pandemie, nun nochmals verschärft durch die Virusmutationen, oberste Priorität hat. Gleichzeitig muss das Überleben des Kulturbereichs in seiner Vielfalt und Heterogenität gesichert werden durch Lösungen, die auch für kleinere und mittlere Kulturorganisationen umsetzbar sind. Allen Überlegungen sind folgende Grundprinzipien voranzustellen:

  • Gleichbehandlung des Kulturbereichs gegenüber anderen Bereichen im Hinblick auf zukünftige Regelungen, insbesondere
    • keine Schlechterstellung des Veranstaltungsbetriebs gegenüber der Gastronomie
    • keine Schlechterstellung von Ausstellungsräumen / Museen gegenüber dem Handel
  • Chancengerechtigkeit innerhalb des Kulturbereichs und damit Vielfaltssicherung
    durch Regelungen, die auch für kleine und mittlere Kultureinrichtungen umsetzbar sind und unterschiedliche Ausgangs- und Arbeitsbedingungen, etwa von Kulturinitiativen im ländlichen Raum, berücksichtigen.

     

1. Planungsperspektive: Fahrplan zum schrittweisen Neustart

Kunst und Kultur bedarf langer Vorlaufzeiten. Eine Veranstaltungsreihe oder eine Ausstellung benötigt mindestens 1-2 Jahre Vorlaufzeit, einzelne Konzerte 2-4 Monate, ein Festival bis zu drei Jahre. Wie nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 braucht es auch künftig wieder einen Mehrstufenplan, der faktenbasiert klare und transparente Voraussetzungen für einen Neustart definiert (z.B. anhand nachvollziehbarer Kriterien wie Inzidenzen, etc.) und damit ein Mindestmaß an Planungsperspektive schafft.
Darüber hinaus müssen bei zukünftigen Lockerungen folgende Aspekte einfließen, um auch kleinen Kulturstätten ein wirtschaftlich vertretbares Wiedereröffnen zu ermöglichen:

  • Kein Gastronomie-Verbot bei Veranstaltungen – insbesondere für kleinere Kulturstätten ist der Ausschank von Getränken und die Ausgabe von Speisen entscheidend, um kostendeckend arbeiten zu können; eine räumliche Trennung zwischen Gastro- und Veranstaltungsangebot nicht möglich.
  • Ausweitung der Sperrstunde auf zumindest 22 Uhr – Testverpflichtung und Kontrolle von Tests vor Veranstaltungen benötigt Zeit, Veranstaltungen müssten noch früher angesetzt werden; ohne Ausweitung der Sperrstunde wäre es für berufstätiges Publikum kaum mehr möglich, an Veranstaltungen teilzunehmen;

  • Ermöglichung von Probentätigkeit für professionelle künstlerische Darbietungen, bei denen neben Profis auch Laien/Laiinnen mitwirken – bei Einhaltung der bewährten Präventionskonzepte und Sicherheitsmaßnahmen;

  • Klarheit bzgl. möglicher verpflichtender Zutrittstestungen (siehe Punkt 2 und Fragen im Annex) sowie darauf abgestimmte Auflagen – bei Vorlage von Tests sollten die bewährten Raumpläne mit 1Meter Mindestabstand von Sitzmitte zu Sitzmitte gelten;

     

2. Zutrittstests: Auflagen mit Augenmaß und flankierende Maßnahmen für Umsetzung

Aktuell ist in Diskussion, dass der Besuch von Veranstaltungen an die Vorlage eines negativen COVID-19 Tests geknüpft wird, der entweder vor der Veranstaltung von „medizinisch geschultem Personal“ durchgeführt wird oder max. 48 Stunden alt ist. Dies mag theoretisch als eine praktikable und sichere Lösung erscheinen. In der Praxis wird die Umsetzung jedoch lediglich großen und entsprechend ausgestatteten Kultureinrichtungen vorbehalten sein. Die Durchführung von Testungen vor Veranstaltungsbeginn ist für kleine, ehrenamtlich geführte, wie mittelgroße Kultureinrichtungen weder logistisch, räumlich, personell, finanziell noch zeitlich machbar; Auch die Kontrolle von Nachweisen, inkl. der erforderlichen zusätzlichen Identitätsfeststellung, ist sehr zeit- und personalaufwendig. Es droht Staubildung, da räumliche Kapazitäten zur Entzerrung für die Durchführung der Testungen bzw. Kontrollen fehlen. Testungen vor Ort müssten gratis angeboten werden, da die Tickets andernfalls wesentlich teurer würden und für große Teile des Publikums nicht mehr leistbar wären. In Summe bedeutet es nochmals mehr Kosten und Personalaufwand, während gleichzeitig nicht abschätzbar ist, in welchem Ausmaß sich das Publikum weiter verringert.

Grundsätzlich sollten die bewährten Präventionskonzepte und verstärkten Sicherheitsmaßnahmen (inkl. Mindestabstand und FFP2-Maskenpflicht) als Alternative zu Zutrittstests für kleinere Veranstaltungen anerkannt werden; konkrete für Veranstaltungen bis 150 Personen mit fix zugewiesenen Sitzplätzen und 50 Teilnehmer*innen ohne zugewiesene Sitzplätze.

Sollte kein Weg an verpflichtenden Zutrittstests vorbeiführen, so scheint einzig praktikable Alternative:

  • flächendeckendes gratis-Angebot an Testmöglichkeiten (auch in ländlichen Regionen), insbesondere Heim-/Selbsttests für das Publikum für erforderliche Testnachweise;

  • Stärkung der Eigenverantwortung des Publikums, Entbindung der Veranstaltenden von der Kontrollpflicht des Nachweises (nur Stichproben) und daraus resultierenden Haftungsfragen, Kontrolle von dazu befugten Behörden auf Stichprobenbasis;

  • Kostenersatz für Mehraufwendungen, die Veranstaltenden durch neue Auflagen entstehen, insb. Personalkosten sowie Mehrkosten für begleitende Selbst- /Teststationen in Einrichtungen, die dafür Kapazitäten haben;

  • Abgestimmte Auflagen für Veranstaltungen mit Zutrittstests bzw. keine weitere Verschärfung trotz Zutrittstests, insbesondere Beibehaltung des 1Meter Mindestabstand von Sitzmitte zu Sitzmitte;

Andernfalls droht der Großteil der kleineren Kultureinrichtungen weiterhin geschlossen zu bleiben, sich die Angebotsvielfalt entsprechend stark zu reduzieren sowie große Teile des Publikums vom übrig gebliebenen Kulturangebot ausgeschlossen zu sein.

 

3. Finanzielle Planungssicherheit: Nachbesserung und Ausbau der Fonds

Die verschiedenen Corona-Hilfsfonds müssen nachgebessert und ausgebaut werden, damit sowohl situationsbedingte Schließungen als auch der unglaubliche Mehraufwand (Personal, Bewerbung etc.) wie auch die geringe Auslastung abgedeckt werden. Dieser – von Einnahmen unabhängige – Mehraufwand wird bis dato von keinem der Hilfsfonds abgedeckt. In Konsequenz fehlen diese Mittel für die kulturelle und künstlerische Arbeit.

Insbesondere beim NPO-Fonds gibt es Verbesserungsbedarf. Dieser ist mit dem Einnahmenentfall im Vergleich zum Vorjahr gedeckelt. Dadurch sind Kulturvereine auf das Niveau des Vorjahres „eingefroren“, unabhängig davon, wie hoch der Einnahmenausfall tatsächlich ist. Mehrkosten für „Zutrittstests“, erforderliche corona-bedingte Investitionen und zusätzliche Personalkosten durch permanente Umplanungen, die unabhängig von diesem Einnahmenausfall anfallen, werden nicht ersetzt. Der Struktursicherungsbeitrag in Höhe von 7% bzw. 14% der Vorjahreseinnahmen kann diese Mehrkosten nicht ausreichend auffangen. Kurzarbeit ist keine Option, da mehr und nicht weniger Arbeit anfällt. Mit der neu kommenden wöchentlichen Testverpflichtung für Mitarbeiter*innen mit Kund*innen-Kontakt verschärft sich die Problematik der Mehrkosten zusätzlich.

Eine Änderung der Förderlogik des NPO-Fonds scheint aktuell schwer durchsetzbar. Es braucht folglich

  • eine Sonderförderung zur Kompensation von Mehraufwendungen für gemeinnützige Kulturvereine, insbesondere der Personalkosten, zusätzlich zum NPO-Fonds sowie
  • pauschale Kostenersätze für betriebliche Testungen von Mitwirkenden in Kulturvereinen die auch der freien Szene zugänglich sind und alle Mitarbeitenden mit Besucher*innen-Kontakt umfassen, unabhängig von deren Beschäftigungsverhältnis;

     

4. Strukturierter Dialog und Austausch

  • Zentrale Anlaufstelle für Praxisfragen (Praxisleitfaden)
    eine Anlaufstelle, die rechtsverbindliche Informationen zur Auslegung der Bestimmungen gibt und diese transparent und nachvollziehbar für andere im Kulturbereich macht (bislang gibt es keine öffentlichen FAQs des Kulturressorts zur Auslegung der jeweils gültigen Verordnung);​​​
  • Etablierung eines regelmäßigen Dialogforums mit der Politik
    zur Einbeziehung fachlicher Expertise in die Ausformulierung der Verordnungen sowie Entwicklung eines Gesamtpakets zur Stimulierung des Neustarts des Kulturlebens;