Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B
<p>Kultur ist immer Nummer eins, zumindest in allen Sonntagsreden, Erklärungen und Interessensbekundungen von Politiker_innen quer durch alle Bereiche und Ebenen ob Stadt, Land, Bund oder EU. Kulturelle Vielfalt ist, wenn man den Reden glauben schenken darf, das ein und alles der Politik und mit einem Augenzwinkern eigentlich, das, wofür man lebt und arbeitet. Schaut man sich aber, egal von welcher Ratspräsidentschaft, das Programm an, dann wird recht schnell deutlich,
Kultur ist immer Nummer eins, zumindest in allen Sonntagsreden, Erklärungen und Interessensbekundungen von Politiker_innen quer durch alle Bereiche und Ebenen ob Stadt, Land, Bund oder EU. Kulturelle Vielfalt ist, wenn man den Reden glauben schenken darf, das ein und alles der Politik und mit einem Augenzwinkern eigentlich, das, wofür man lebt und arbeitet. Schaut man sich aber, egal von welcher Ratspräsidentschaft, das Programm an, dann wird recht schnell deutlich, dass Kultur immer an unterster Stelle aller Menüpunkte rangiert. Kultur wird als Politikfeld und als Wirtschaftsfaktor nur bedingt ernst genommen und ist in politisch schwierigen Zeiten immer das erste Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Es gibt jedoch auch ökonomische Argumente, warum man Kunst und Kultur fördern soll beziehungsweise es ökonomisch nicht sinnvoll ist Kulturförderungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu kürzen.
An dieser Stelle sei in aller Kürze erwähnt, dass das Kürzen von Budgets in Zeiten der Krise aus volkswirtschaftlicher Sicht (Keynes) generell nicht ratsam ist. Öffentliche Ausgaben sind von großer Bedeutung um die konjunkturelle Abwärtsspirale einer Volkswirtschaft zu bremsen und einen neuen Aufschwung einzuleiten. Wenn, dann sollten öffentliche Budgets in Zeiten der Hochkonjunktur zurückgefahren werden und auch hier sollte es in erster Linie die Wirtschaftsförderung und nicht das Gesundheitswesen, Kultur oder die Wissenschaft treffen.
1. Kunst und Kultur sind ein Labor für viele Gesellschaftsbereiche und ziehen eine bestimmte Community an. Bei diesen künstlerischen Experimenten – früher hätte man dazu Avantgarde gesagt – steht der direkte Nutzen und die Verwertbarkeit im Hintergrund, denn, wie der Name Experiment schon sagt, ist unklar, was dabei herauskommt und folglich wäre es nicht nur hinderlich, sondern auch unsinnig eine Verwertungsstrategie in die Grundidee einzubeziehen. Das Profitcenterdenken und die Vorstellung, dass jede Bewegung, jeder Schritt rational und profitorientiert sein muss und der zunehmende Verlust des Überblicks in allen Lebensbereichen und leider auch in starkem Ausmaß in der Politik führen dazu, dass die Bedeutung in direkt messbaren Größen – zumeist Geld oder Publikum gemessen wird. Allerdings ist es nicht möglich, die unter Politker_innen so beliebten Cultural and Creative Industries ohne lokalem Kunstschaffen zu denken. Zumindest nicht langfristig. Beispielsweise ist Kunst- und Experimentalfilm notwendig, da sich ästhetische Prinzipien über das Arthouse Kino in den Mainstream- oder auch den Werbefilm übertragen. Gäbe es für ästhetische Konzepte oder Prinzipien eine Art Maut, dann wären viele Experimentalbereiche vermutlich sehr profitabel. Nur weil es den Kunstlabors und Experimentierstätten nicht gelingt an geeigneter Stelle eine Mautstation zu errichten, heißt das nicht, dass sie nicht in hohem Maße auch wirtschaftliche Werte erzeugen. Nicht alles, was zur gesellschaftlichen Wohlfahrt beiträgt, kann auch auf einem Markt an Hand von Nachfrage abgelesen werden. Genau die Nichteintreibbarkeit dieser Werte oder die nicht auf einem Markt abgebildete Nachfrage nach solchen Kulturgütern und Leistungen ist es, die durch Subventionen kompensiert werden soll. Es geht also keineswegs um Almosen an Kulturschaffende sondern um öffentliche Nachfrage nach Kultur und die adäquate Bezahlung für Kunst- und Kulturberufe. Sollte das Kulturverständnis mancher Politiker_innen an sich nicht ausreichen um die Notwendigkeit von Kulturförderungen zu sehen, so kann über ökonomische Zusammenhänge gezeigt werden, dass es ohne regionale Kulturinitiativen und ohne Experimente langfristig auch keine Cultural and Creative Industries gibt, denn diese entstehen nicht von alleine. Meist entwickelt sich der Mainstream nach und nach aus der Offszene.
Vor allem Kulturinitiativen leisten im ländlichen Raum eine kulturelle Nahversorgung, die auch eine dynamische Wirkung zeigen und zwar sowohl für die Angebots- und Nachfrageseite als auch für künftige Entwicklungen. Kulturinitiativen bieten einer jüngeren Generation die Möglichkeiten in Theaterproduktionen, Konzerte, Ausstellungen, Kunstprojekte etc. eingebunden zu werden und Erfahrungen zu sammeln. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Ausbildung eines kulturinteressierten Publikums als auch für die von Nachwuchskulturschaffenden. Darüber hinaus schaffen und erhalten Kulturinitiativen Infrastrukturen, die wiederum für Festivals und Tourbetrieb essentiell sind. Denn ohne einem Minimum an Infrastruktur, Räumen und Technik lassen sich auch temporäre Spektakel nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Mehraufwand realisieren. Als Beispiel kann hier die steirische regionale genannt werden, die immer wieder mit Partner_innen kooperiert, die seit langer Zeit vor Ort Kulturarbeit leisten.
2. Ähnlich wie in der Grundlagenforschung können auch Kunst und Kultur nicht isoliert betrachtet werden. Niemand wird verlangen, dass sich ein Institut für Hochenergiephysik über die Tantiemen seiner Publikationen finanziert, sondern es gewinnt seine Bedeutung über eine andere definierte Funktion, deren direkte ökonomischen Auswirkungen in der Zukunft liegen.
Das zweite Argument für die Wichtigkeit der Kulturförderung bezieht sich folglich auf die externen Effekte im Allgemeinen. Besonders Kulturinitiativen und das zeitgenössische Kulturschaffen leisten einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben. Nachstehend sollen exemplarisch einige dieser Effekte umrissen werden.
Einer der wichtigsten externen Effekte die von zeitgenössischer Kunstproduktion ausgehen ist die soziale Kohäsion. Kulturinitiativen sind niederschwellig und stellen besonders in den ländlichen Regionen oft die einzige Möglichkeit dar, nicht kommerzielle Räume vorzufinden. Die Vielfalt der inhaltlichen Projekte bringt verschiedene Gruppen miteinander in Kontakt und schafft – zumindest temporär – Orte der Kommunikation und des Austausches.
Weiters erfüllen Kulturinitiativen eine Vermittlungs- und Bildungsfunktion. Sie bringen Inhalte in Gebiete, die oft ein sehr eingeschränktes Kulturspektrum zeigen (vielfach geprägt von Kommerzialität). Gerade für Jugendliche stellt diese Arbeit oft eine der wenigen Möglichkeiten dar, mit aktuellen Ansätzen von Kulturproduktion in Kontakt zu kommen.
Dennoch findet Kunst und Kultur nicht statt um Regionen aufzuwerten, soziale Kohäsion zu erzielen, aus den Beteiligten und den RezipientInnen bessere Menschen zu machen oder generell die Welt zu verbessern, sondern aus Interesse an der (jeweiligen) Sache, wenngleich es mit anderen Bereichen Berührungspunkte gibt. Kulturinitiativen können – mitunter massiv – zur Aufwertung von Stadtteilen oder Regionen beitragen, ohne die üblichen Verdrängungsprozesse in Gang zu setzen. Sie sind von großer Bedeutung für die Nachwuchsförderung, für die Schaffung experimenteller Räume, Kunst- und Kulturvermittlung und für vieles andere mehr. Es ist richtig, dass Kulturinitiativen, die ihren kulturpolitischen Auftrag ernst nehmen, praktisch nicht profitabel geführt werden können, aber die Investition in Kulturinitiativen und die damit für Politik und Gesellschaft wichtigen externen Effekte sind verhältnismäßig günstig und können zu gleichen Kosten sicherlich nicht alternativ bereitgestellt werden. Gerade von politischer Seite ist es notwendig diese externen Effekte zu utilitarisieren und in ein politisches Denken zu internalisieren. Wenn man dies alles berücksichtigt, sind Ausgaben in die Kultur effizient investiert.
Zu den verhältnismäßig günstigen Kosten muss klar gestellt werden, dass das in keiner Weise eine Aufforderung zum weiteren Lohndumping sein soll. Es ist schon unabdingbar, dass die professionelle Arbeit in diesem Bereich auch entsprechend bezahlt werden muss. Damit will ich an dieser Stelle auch auf die Fair-Pay Kampagne der IG Kultur Österreich hinweisen. Aber: Auch bei fairer Bezahlung sind die Investitionen in den Kulturbereich und den damit verbundenen Effekten immer noch günstig. Langfristig kann Qualität nur durch entsprechender Bezahlung gewährleistet werden.
Nachdem das Kürzen von Kunst- und Kulturförderungen zwar ökonomisch nicht sinnvoll ist, aber sich die Politik meist einer Kürzung in allen Bereichen nicht entziehen kann um keine Optik der Benachteiligung dieses oder jenes Politikbereichs aufkommen zu lassen ist es üblich, dass überall gekürzt wird. Dennoch muss bedacht werden, welche Kürzungen welche Auswirkungen nach sich ziehen.
Plan B – Produzieren statt Zukaufen
Die oben skizzierten Effekte sowohl auf die Cultural and Creative Industries als auch die externen Effekte kommen nur dann in vollem Ausmaß zu tragen, wenn Konzeption, Produktion und Investitionen auch lokal geschehen. Kurz: Die ökonomischen Auswirkungen von Wanderausstellungen oder eingekauften Theaterproduktionen sind ähnlich wie beim Abspielen von Hollywoodfilmen in heimischen Kinos, verhältnismäßig gering, denn der Großteil der Gelder fließt ins Ausland ab. Wenn also die Kulturausgaben sinken, dann muss überlegt werden, welche langfristigen Folgen das Sparen mit sich bringt und wie hoch sowohl die zeitlichen als auch die finanziellen Ressourcen für einen Wiederaufbau sind. Folglich ist es bei temporären finanziellen Einschnitten auf lange Sicht wesentlich günstiger auf eingekaufte Produktionen im Bereich Theater und Oper und bei eingekauften Wanderausstellungen im musealen Bereich kurzfristig zu verzichten, statt auf lokale Kunstproduktion. Der Grund sind die Wiedereinstiegskosten, denn ein Wiederaufbau von lokalen Strukturen ist nur mit enormem zeitlichem und finanziellem Aufwand und in vielen Fällen gar nicht möglich. Diese kulturelle Verödung im ländlichen Raum führt in absehbarer Zeit verstärkt zu Problemen bei der kulturellen Versorgung und Ausbildung. In den Ankauf von weltweiten Produktionen und Ausstellungen kann jederzeit und ohne größere Reibungsverluste wieder eingestiegen werden, sobald sich Wirtschaft und Budgetdaten erholt haben.
Gleichzeitig sollten in Krisenzeiten größere Institutionen verstärkt in die Pflicht genommen werden mit kleineren Institutionen und einzelnen Kulturschaffenden aus der Region zu kooperieren um die getätigten Kulturausgaben nicht ins Ausland abfließen zu lassen. Im Filmbereich ist das durchwegs üblich, denn da geben Förderinstitutionen die Mindesteffekte vor, die die Subventionen auf den Filmstandort Österreich haben müssen, damit auch eine heimische Szene gefördert wird. In Zeiten sinkender Budgets wäre es wichtig die Gelder, die in den Kultursektor fließen auch möglichst lang in der Szene zu halten und so das Überleben der Szene(n) und den Erhalt von Strukturen zu gewährleisten.
Darüber hinaus ist es auch nur schwer argumentierbar Kulturinitiativen, die über lange Zeit mit viel ehrenamtlichen Engagement und Steuermitteln aufgebaut und letztlich auch in Kooperation mit der Politik etabliert wurden, kurz- bis mittelfristigen Konsolidierungsüberlegungen zu opfern.
Paul Stepan ist Kulturökonom und Kulturmanager FOKUS.
ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:
Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton
Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits
Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser
Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan
Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber