Auf der Suche nach dem verlorenen Raum.
Die Erfolgstreiber wie auch Herausforderungen und Hindernisse bei der Bildung lebendiger und nachhaltiger Jugendkulturszenen sind bekannt: Zentral ist immer eine Kerngruppe hoch engagierter und intrinsisch motivierter junger Menschen, die zum Motor für ganze Szenen und Regionen wird. Ein anderer höchst wichtiger Erfolgsfaktor sind Räume.
Jugendkultur in Ottensheim.
Die Erfolgstreiber wie auch Herausforderungen und Hindernisse bei der Bildung lebendiger und nachhaltiger Jugendkulturszenen sind bekannt: Zentral ist immer eine Kerngruppe hoch engagierter und intrinsisch motivierter junger Menschen, die zum Motor für ganze Szenen und Regionen wird. Ein anderer höchst wichtiger Erfolgsfaktor sind Räume. Hemmend wirken hingegen Kosten (insbesondere Fixkosten für Räume oder gar Personal), eine riesige Herausforderung ist immer die Frage der Nachhaltigkeit von Initiativen, ihrer Lebendigkeit über mehrere Generationen von jungen Menschen hinweg. Ottensheim bei Linz ist ein wunderbares Beispiel für über Jahrzehnte gelebte, lebendige Jugend- und Soziokultur – und für die mit der Raumfrage verbundenen Probleme.
Das gallische Dorf
Ottensheim ist ein gallisches Dorf – so meinte Anatol Bogendorfer anlässlich der Schließung des lokalen Jugendzentrums JO 2008 in der KUPF-Zeitung. Diese so außerordentlich nette Bezeichnung wurde zu einem geflügelten Wort, ja einer identitätsbildend wirksamen Zuschreibung. Wir (ja, auch ich bin aus Oheim) sind anders und finden das sogar noch gut. Wie aber kam es dazu?
Die Generation der heute 50-Jährigen bespielte in ihrer Jugend einen Keller, die Höhle, als Party- und Veranstaltungsraum, eine wichtige und nachhaltige Inspiration für folgende Generationen.
Neues entstand in den frühen 1990ern, initiiert von einer Gruppe junger und hoch engagierter Menschen rund um Wolfgang „Wodo“ Gratt, damals eng mit der Linzer Kapu verbunden und Mitglied der Band Spiraldance. 1992 eröffnete schließlich das JO, Jugendzentrum Ottensheim, als räumliche Manifestation der lokalen Jugendkultur. Bereits im Jahr darauf fand das erste des noch heute jährlich abgehaltenen Ottensheim Open Airs statt.
Das Substrat
Treiber waren junge, engagierte Menschen, nicht wenige davon mit hoher Affinität zu Musik bzw. selbst aktive MusikerInnen. Das Ziel war klar: etwas bewegen, Konzerte veranstalten, eine Szene aufbauen – und Handlungsräume eigeninitiativ schaffen und intensivst möglich nutzen.
Das wichtigste Substrat aber war der Raum, das Erdgeschoss eines kaum genutzten Hauses mitten am Marktplatz, im Besitz der Gemeinde Ottensheim. Diese stellte dem JO die Lokalität bis auf weiteres kostenfrei zur Verfügung. Ein unglaublicher Glücksfall, denn so konnte ohne Fixkostenbelastung (und selbstverständlich ausschließlich ehrenamtlich) Kulturarbeit geleistet werden. Das JO wurde zum Freiraum, völlig selbstverwaltet und weitgehend jeder Kontrolle von außen entzogen (wenn man mal von Besuchen der Polizei und Diskussionen mit dem damaligen Bürgermeister absieht ...).
Über 15 Jahre
Die absolute Offenheit des JO und die intendierte permanente Fluktuation im Leitungsgremium wie unter den MitarbeiterInnen, die Möglichkeit für junge, also ca. 14- bis 16-jährige Menschen, einfach dazuzustoßen und aktiv zu werden, ohne jegliche bürokratische oder zwischenmenschliche Hürden, haben dazu geführt, dass das JO ca. fünf Generationen von Jugendlichen erlebte und 15 Jahre lang existierte. Aufs und Abs, Erneuerungen, Veränderungen, klar, war alles Teil der Dynamik – und davon gab es jede Menge!
Ich behaupte: Das JO und die damit verbundene Notwendigkeit, schon als Teenager Verantwortung zu übernehmen (selbstverständlich auch wirtschaftlicher Natur, denn trotz kostenloser Raumnutzung fallen im Kulturbetrieb mehr als genug variable Kosten an, die gedeckt werden wollen), haben Potentiale freigesetzt und junge Menschen zu erfolgreichen Erwachsenen erzogen. Beispiele? Jede Menge Selbstständiger quer durch alle Branchen wurden im JO sozialisiert, GeschäftsführerInnen von kleinen und größeren Unternehmen und nicht zuletzt viele MusikerInnen. Tumido, Elektro Guzzi, Heiligenblut, Gigis Gogs und andere, alle wären in ihrer heutigen Form nicht denkbar ohne die Möglichkeit, dass junge Menschen experimentieren und eigenverantwortlich ihre Werte, Lebens- und Arbeitswelten entdecken.
Nachdem 2008 die Gemeinde Ottensheim das Haus des JO zur Eigennutzung benötigte und das Jugendzentrum schließen musste, ist auch die lebendige Jugend- und Soziokultur in Ottensheim weitgehend zum Erliegen gekommen. Zwar gibt es im Gasthaus zur Post einen nutzbaren Veranstaltungsraum und einen entgegenkommenden Wirten, aber es fehlt ein Frei- und Handlungsraum. Jugend- und Soziokultur leben nicht im und vom Wirtshaus, sondern in eigenen Welten, in denen die Möglichkeit zum Experiment, zur (Pro-)Aktivität, Entfaltung und vor allem zur Übernahme von Verantwortung gegeben ist!
Beim Wirt konsumiert man, ist also passiv, nicht selbst aktiv, wie in einem selbstverwalteten Jugendzentrum. Ein solches ist aber unerlässlich, um eine funktionierende, lebendige Szene zu gestalten.
Schlussplädoyer
Es braucht mehr offene, leicht zugängliche und vor allem billige oder kostenlose Räume!
Erst die entfallende Fixkostenbelastung erlaubt es zu leben, zu arbeiten, zu lernen und Kultur zu produzieren. Ohne Druck von außen, in freier Entfaltung!
Gemeinden, Städte, Bund, Private, Fonds, Stiftungen, wer auch immer:
Öffnet eure Räume – und sei es „nur“ als Prekariat! Und vertraut in das Potential junger Menschen!
Denn wer feiert und selbst für alle Konsequenzen, vom Kassieren des Eintrittes über die Verwaltung der Kasse bis zum Reinigen am Tag danach und der Buchhaltung verantwortlich ist, der lernt und wächst, jeden Tag!
Stefan Parnreiter-Mathys lebt und arbeitet in Wien. Theoretische und operative Tätigkeiten im Kultur- und NPO-Management. http://stefanparnreitermathys.wordpress.com/