Aus der Krise in die Krise: Corona zeigt langjährige Versäumnisse der Kulturpolitik auf
Der Kunst- und Kulturbereich steht durch Corona vor gravierenden Problemen, doch eigentlich steckt der Sektor schon viel länger in einer Krise. Bestehende Initiativen erhalten schon seit Jahren immer weniger Geld, für neue ist kaum Platz, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und kaum vorhandene soziale Absicherung sind an der Tagesordnung. Die Corona-Krise zeigt diese langjährigen politischen Versäumnisse erbarmungslos auf.
Die Regierung kommt nach Monaten der Corona-Krise nicht aus einer Politik des Reagierens raus. „Wir haben bereits vier Monate hinter uns und stecken immer noch im akuten Krisemanagement fest,“ bezeugt Yvonne Gimpel von der IG Kultur: „Es gibt immer noch viele offenen Fragen, wo scheinbar Lösungen auf dem Tisch liegen und die Tücke im Detail liegt, von den Vorgaben bis zum Finanziellen. Da haben wir keine Lösungen die auch halten und Perspektive geben.“
Selbst dem Krisenmanagement hätte der Kunst und Kulturbereich der Regierung kein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Etablierung der Entschädigungsleistungen hat Monate gedauert, es musste immer wieder nachgebessert werden, da viele von den Netzen nicht aufgefangen wurden. Viele Anträge wurden sehr behäbig bearbeitet und selbst die allerersten Lockerungen für den Kulturbereich kamen zu einem Zeitpunkt, an dem man schon wieder gemütlich sein Schnitzel im Gasthaus essen konnte. Die anhaltende Kritik des Sektors und womöglich auch der Zorn prominenter Figuren kostete Kulturstaatssekretärin Lunacek den Posten.
Seither ist ein wenig Bewegung ins Krisenmanagement gekommen. Doch die Rettung des Kultursektors wird nicht kurzfristige Linderungen laufen. Das längerfristige Problem ist ein strukturelles. Die Arbeitsbedingungen, die ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung kennt, sind im Kunst- und Kulturbereich absolute Seltenheit, vor allem im freien Kulturbereich. Alina Zeichen von der IG KIKK, der Interessensgemeinschaft der Kulturinitiativen in Kärnten/Koroška, meint, dass vor allem Schieflagen in der Personal- und Finanzsituation unter Corona besonders drückend werden. Über eine Basisdatenerhebung wurde erhoben, dass in Kärnten nur wenige im Kulturbereich beschäftigte Menschen über Anstellungsverhältnisse verfügen, die sie beispielsweise für die Kurzarbeit qualifizieren würde. Die niedrigen Förderungen und Zweckwidmungen der Gelder an Projekte würden das nicht zulassen. Das mangelnde Geld für Personal wird über Eigendeckung kompensiert, beispielsweise über Eintrittsgelder. „Das führt in eine unfreiwillige Ehrenamtlichkeit und eine unfreiwillig sehr prekäre Lebenssituation,“ so Zeichen. Und das war schon vor der Pandemie der Status Quo.
Der Dachverband Salzburger Kulturstätten hat in Salzburg den Fair Pay Gap erhoben. Das ist die Differenz zwischen derzeitigem Lohn und jenem, der Aufwand und Art der Tätigkeit entsprechen würde. Ersichtlich ist das im Fair Pay Gehaltsschema der IG Kultur. Sie kamen auf eine Differenz von 2,341 Millionen Euro, die auf dem Rücken der im Kulturbereich Tätiger getragen wird, damit Kultur überhaupt stattfinden kann. Einer „Kulturnation“ unwürdig.
Dabei ist man auch noch unterbesetzt, wie Thomas Randisek, Geschäftsführer vom Dachverband Salzburger Kulturstätten, feststellt: „Wir haben außerdem erhoben, dass es eigentlich auch einen Mehrbedarf an Personalstellen geben würde, nämlich 18 Stellen.“
Daten, wie sie von Landesorganisationen der IG Kultur erhoben werden, bereiten überhaupt erst die Grundlage, die notwendig wäre, politisch steuernd einzugreifen. Doch auch dafür hat sich die Politik bislang wenig interessiert. Erst in der Corona-Krise wurde eine große Studie beim WIFO beauftragt. Ergebnis: Eine Zweiklassengesellschaft im Kunst und Kulturbereich.„Darin laufen wir Gefahr, dass sich die Zweiklassengesellschaft weiter vertiefen wird, die wir im Kunst und Kulturbereich ohnehin schon kennen, weil es keine sozialen Mindeststandards gibt. Die Konsequenzen daraus trifft nicht nur die Akteur*innen im Sektor, sondern auch alle, mit denen sie zusammenarbeiten,“ so Yvonne Gimpel. In der Corona-Krise werden die Missstände also bloß sichtbar, mit denen der Kulturbereich schon seit Jahren zu kämpfen hat.
Die Politik hat sich dafür aber eigentlich nie wirklich interessiert. Über zehn Jahre lobbyierte die IG Kultur, ehe es Fair Pay dann letztes Jahr ins Regierungsprogramm schaffte. Doch dann kam Corona. Die erste Staatssekretärin, die am Krisenmanagement scheiterte, hatte mit Fair Pay zumindest eine mögliche langfristige Lösung ganz oben auf ihrer Agenda. Ihre Nachfolgerin scheint in der stürmischen Zeit fester im Sattel zu sitzen. Allerdings beschäftigt den Kulturbereich die Frage, ob sich Kulturstaatssekretärin Mayer überhaupt für ernstzunehmende Reformen interessiert, oder ob sie nach der Krise den „Normalzustand durchverwalten“ möchte, wie man es von den Vorgängerinnen und Vorgängern gewohnt war.
Das Problem daran: Es wäre eine Rückkehr zu einer Krise, die einfach weiterverwaltet würde. Denn der Abgrund, der sich nun auftut ist nicht nur der Pandemie geschuldet, er hat seine Grundlage in langjährigen Problemen und politischen Versäumnissen, die jetzt erst überdeutlich sichtbar werden. Trotzdem laufen wir nun Gefahr, dass Corona für die Politik zu einer Ausrede werden könnte, die Versprechen im Regierungsprogramm nicht umzusetzen.