Neues aus der Kleingärtnersiedlung
Die Kap Anamur gibt es nämlich immer noch. Zuletzt hat sie 37 Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer gefischt. Die sind aber nicht wie damals versorgt und aufgenommen worden, sondern allesamt wieder abgeschoben. Die Besatzungsmitglieder sind verhaftet worden, und ihnen wurde der Prozess gemacht.
Der Februar ist für Kleingärtnerinnen und Kleingärtner der letzte ruhige Monat. Das ist dann auch die Zeit, in der man sich gerne besucht und die im Herbst eingelegten Senfgurken und eingekochten Marmeladen verkostet. Und beim Gustieren und Kosten kommt man natürlich auch oft ins Reden. Gerne rede ich mit meinem Gartennachbarn Chung Meng Thek. Dass der kein Hiesiger ist, das werden Sie ja schon am Namen erkennen, und ausschau’n tut er auch nicht gerade wie ein Eingeborener. Dennoch ist er einer meiner ältesten Freunde. Damals, 1980, ist er nämlich in die letzte Klasse unserer Hauptschule gekommen. Da sind seine Eltern mit ihm aus Vietnam geflohen. In einem fürchterlich kleinen Schinakel sind sie im Chinesischen Meer herumgeschwommen. Hunger, Durst, Piratenüberfälle und noch einige grausliche Sachen, die ich jetzt gar nicht aufzählen mag. „Boat People“ hat man die damals genannt. Nachdem sie einige Zeit in einem Flüchtlingscamp waren, hat man ihnen angeboten, dass sie nach Österreich kommen könnten. So ist der Chung Meng Thek dann zu uns in die Klasse gekommen, weil die Pfarre für seine Familie eine Patenschaft übernommen hatte. Damals sind ja viele gekommen. Die österreichische Regierung wollte zuerst nur 200 Vietnamflüchtlinge nehmen. Da ist ihr das Volk dann aber „aufs Dach gestiegen“, wie man bei uns sagt. Man hat ja im Fernsehen gesehen, wie die Leute absaufen im Chinesischen Meer. Nein, haben damals alle von der Gewerkschaft bis zur Wirtschaftskammer gesagt, da müssen wir noch mehr von den armen Teufeln aufnehmen. Und so sind aus den 200 dann mehr als 2.000 Flüchtlinge geworden. Aber auch nur, weil sich die Leute für die Flüchtlinge eingesetzt haben, ihnen Wohnung und Arbeit verschafft haben und mit ihnen Deutsch gelernt haben.
Berühmt ist damals das Schiff „Kap Anamur“ geworden. Das war ein umgebauter Lastkahn. Den hat ein deutscher Journalist extra gechartert, damit er möglichst viele Boat People vor dem Ertrinken retten kann. Ja, und da sind wir wieder beim Chung Meng Thek. Der ist nämlich im Februar in meine Hütte gekommen und hat wortlos einen Artikel auf meinen Tisch gelegt. Und als ich den gelesen hatte, hab’ ich nicht gewusst, ob ich weinen oder fluchen sollte. Die Kap Anamur gibt es nämlich immer noch. Zuletzt hat sie 37 Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer gefischt. Die sind aber nicht wie damals versorgt und aufgenommen worden, sondern allesamt wieder abgeschoben. Die Besatzungsmitglieder sind verhaftet worden, und ihnen wurde der Prozess gemacht.
Da ersaufen jährlich 4.000 Menschen im Mittelmeer. Habenichtse, die alles daran setzten, nach Europa zu kommen. An der Grenze zur Türkei liegen auf 42 Kilometern 1,5 Millionen Landminen, wo es immer wieder Leute zerfetzt, weil sie in die EU kommen wollen. Und wenn sich Leute finden, die Ertrinkende am Kragen packen und aus dem Meer ziehen, dann werden sie eingesperrt.
Der Chung Meng Thek hat geweint. Was er sonst nie tut. Er hat ja selbst als Kind gesehen, wie Menschen absaufen. Ich hab’ mich zu ihm an den Tisch gesetzt und ihn weinen lassen. Denn was, bitte, hätte ich schon sagen können.