Stempeln gehen für die Kunst

Als in Graz in den 1990er Jahren auffallend viele neue Kunst- und Kulturvereine entstanden, die auf Freiwilligenarbeit und Selbstausbeutung in prekären Arbeitsverhältnissen basierten, wurde die Frage nach den Arbeitsbedingungen laut. Unter dem Motto „Kulturarbeiter*innen vereinigt euch“ gelang die Initiierung eines Projektes zur Förderung von Arbeit im kulturellen Sektor. Im Gespräch erzählte Anita Hofer, Gründerin und Leiterin des gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes „Kultur schafft Arbeit“, von den politischen Rahmenbedingungen bei der Entstehung, dem Konzept und den gegenwärtigen Bedrohungen des Projektes.

Die institutionellen Wurzeln von Kultur schafft Arbeit liegen in der experimentellen Arbeitsmarktpolitik der 1980er Jahre. Mit einem Anstieg der bundesweiten Arbeitslosenquote von 1,9% auf 4,5% zwischen 1980 und 1983 war die „Ära der Vollbeschäftigung“ zu Ende gegangen. Als Reaktion darauf förderte der damalige Sozialminister Alfred Dallinger (SPÖ) nicht nur den Übertritt von älteren Arbeitnehmer*innen in die Pension und die Arbeitszeitverkürzung durch die Ausdehnung des gesetzlichen Mindesturlaubs, sondern entwickelte unter dem Titel „experimentelle Arbeitsmarktpolitik“ viele neue arbeitsmarktpolitische Instrumente zur Unterstützung von Jugendlichen und langzeitbeschäftigungslosen Menschen. Der sogenannte zweite Arbeitsmarkt wurde geschaffen.
Vor allem die Aktion 8.000 war sehr bedeutsam, denn sie hatte das Ziel: „Beschäftigung von längerfristig Arbeitslosen mit der Deckung von Lücken im Angebot an gesellschaftlich nützlichen Leistungen durch gemeinnützige Institutionen zu verbinden.“1 Ziel war die Schaffung von 8.000 innovativen Arbeitsplätzen in gemeinnützigen Bereichen wie den Umwelt-, Kommunal-, Kultur- und Sozialbereichen. Nach einer zeitlich befristeten Anschubfinanzierung aus Mitteln der Arbeitsmarktförderung sollte der Arbeitsplatz aus anderen Mitteln weitererhalten werden. Zwischen 1983 und 1995 entstanden so ca. 11.500 dauerhafte Arbeitsplätze, davon ca. 1.125 im Bereich Kunst und Kultur.2
Dass die Arbeitsmarktpolitik damals – im Gegensatz zu heute – offen war gegenüber dem marktfernen Kulturbereich, lag, so Hofer, am kulturpolitischen Klima. Die SPÖ verstand Kulturpolitik als die „sinnvolle Fortsetzung von Sozialpolitik“3 und hatte sich mit dem Credo „Kultur für Alle“ einem egalitären und emanzipatorischen kulturpolitischen Anspruch verschrieben.

Die Beendigung des Projektes „Akademiker*innentraining“ (Teil der Aktion 8.000) zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich und die weiterhin geringen Jobangebote für Akademiker*innen sollen, laut Hofer, das Land Steiermark unter anderem dazu veranlasst haben, eine ressortübergreifende Trägerschaft zur arbeitsmarktpolitischen Förderung von gemeinnützigen Projekten in den Bereichen Wissenschaft, Umwelt und Kultur zu initiieren. 1997 wurde die St:WUK gegründet, eine gemeinnützige Gesellschaft im Eigentum des Landes, die seitdem als Projektträgerin im Auftrag des Arbeitsmarktservice Steiermark und der steiermärkischen Landesregierung mit nicht-marktgängigen und anderweitig schwer finanzierbaren Projekten in den Bereichen Wissenschaft, Umwelt und Kultur kooperiert.

Ziel des 1999 unter dem Dach der St:WUK gestarteten Projektes „Kultur schafft Arbeit“ war daher die Vernetzung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Kulturinitiativen. So konnte Struktur und Kontinuität im Arbeitsablauf der Kulturinitiativen gesichert werden, die wichtige Kriterien für deren Überlebensfähigkeit sind. Gegenüber der Kunst- und Kulturförderung sollte das politische Bewusstsein geschärft werden, dass Kunst- und Kultur wichtige gesellschaftliche Arbeitsleistungen sind, die „fair“ entlohnt werden sollen. Die Förderung von Kulturinitiativen muss Anstellungen erlauben, die dem Prekariat der Kunst- und Kulturschaffenden entgegenwirken.

Getragen wird das Projekt „Kultur schafft Arbeit“ von der Plattform für interdisziplinäre Vernetzungsarbeit „Kultur in Graz (KiG!)“. Kulturinitiativen werden Mitglied der Plattform und arbeiten gemeinsam am Strukturaufbau und an inhaltlichen Themen. Priorität hatte Ende der 1990er vor allem der Aufbau einer Internetinfrastruktur. Die Mitglieder im ersten Jahr waren seegang, artophobia, Kunst://AbseitsVom Netz, mur.at, Forum Stadtpark, Grazer Kunstverein und Werkstadt Graz. Hinsichtlich der Beschäftigung von Arbeitskräften fungiert „KiG!“ als das Bindeglied zwischen den Kooperationspartner*innen AMS und St:WUK und den teilnehmenden Kulturinitiativen, zur Abwicklung von rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen und Formalitäten. Die Mitgliedsvereine sind „Beschäftiger*innen“ nach dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz und haben als solche alle Pflichten von Arbeitgeber*innen. Sie melden „Kultur in Graz“ ihren Bedarf an Arbeitskräften (z.B. im organisatorischen, administrativen, technischen Bereich, bis hin zur inhaltlichen Projektarbeit), die dann über das AMS gesucht und nach einem Auswahlverfahren von „KiG!“ und dem Mitgliedsverein angestellt werden. So erhalten auch kleine Kulturinitiativen die Möglichkeit der Förderung von Arbeitskräften, da die Förderrichtlinie des AMS für „Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte“ an eine Mindestanzahl von Beschäftigten gebunden ist, die kleine Kulturvereine nicht erfüllen können.

Das Projekt „Kultur schafft Arbeit“ ist seit 1999 – genauso wie der Kultursektor insgesamt – stark gewachsen. Bis 2018 waren 67 Kulturinitiativen in der Steiermark daran beteiligt, in denen 280 Personen gearbeitet haben. Laut Hofer haben 46% der Beschäftigten nach der Teilnahme am Projekt eine andere Arbeitsstelle gefunden, davon ca. die Hälfte im Kulturbereich. Die Effekte und Auswirkungen des Projektes sind auf allen Ebenen positiv. Die Kulturinitiativen profitieren von der kontinuierlichen Beschäftigung von Kulturarbeiter*innen und dem Strukturaufbau, der durch die geförderte Beschäftigung ermöglicht wird. Gleichzeitig wird ihnen nicht nur arbeitsrechtliches Wissen durch „KiG!“ vermittelt, sondern vor allem das Bewusstsein dafür gestärkt, dass Kulturarbeit Arbeit ist, die bezahlt werden muss. Nur so ist langfristig eine Professionalisierung des Kulturbetriebes möglich.


Bis zur ersten Einsparungswelle in der Kulturförderung des Landes im Jahr 2011 konnte in vielen Fällen eine geförderte in eine längerfristige Arbeitsstelle übergehen. Im ländlichen Raum konnte durch das Beschäftigungsprojekt kulturelle Infrastruktur aufgebaut bzw. erhalten werden, die für die Kommunen essentiell ist, um die Abwanderungen besonders von höher gebildeten Arbeitnehmer*innen zu verhindern. Die Teilnehmenden (anfangs vor allem Kunst- und Kulturschaffende) erlangen sozialversicherungsrechtlich wichtige Anstellungszeiten und erfahren eine Stabilisierung in ihren oft von prekären Beschäftigungen gekennzeichneten Erwerbsbiographien. In den Kulturinitiativen bietet sich für sie die Möglichkeit, Kontakte im Feld zu knüpfen, Netzwerke aufzubauen und durch ihre Tätigkeit nützliche Skills zu erwerben. Teilnehmende, die bisher keine Nähe zum Kulturbereich hatten, erfahren die Relevanz von Kulturarbeit, lernen den Bereich kennen, bauen Hemmschwellen ab und erfahren Arbeit als sinnvoll und lustvoll (oft nicht üblich in ihren bisherigen Jobs).

Aus Sicht des Staates wirkt sich die Beschäftigung insofern günstig aus, als durch „Rückflüsse“ die Nettokosten durch die Ersparnis von Transferleistungen 31% der Förderung betragen.4 Zusätzlich entfallen die nur schwer quantifizierbaren „gesellschaftlichen“ Kosten der Arbeitslosigkeit, wie negative Auswirkungen auf das Sozial- und Gesundheitssystem.

Der Erfolg des Projektes „Kultur schafft Arbeit“ blieb nicht unbemerkt. 2009 wollte die Regierung Faymann ein Model zur Förderung von Kulturschaffenden entwickeln, welches an den bestehenden Logiken der Arbeitsmarktförderung ansetzt. Eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Studie kam 2013 zum Fazit, dass das Konzept von „Kultur schafft Arbeit“ in einem größeren Maßstab umgesetzt werden soll.5 Zwischen 2011 und 2017 gab es mehrere Versuche, das Projekt österreichweit zu implementieren. Die Abwicklung sollte über die Landesorganisationen der IG Kultur erfolgen.6 2017 gab es aufgrund der Aktion 20.000 von Seiten der AMS Landesgeschäftsführungen großes Interesse an „Kultur schafft Arbeit“, wie Hofer ausführte. Jedoch wurde die Aktion von der schwarz-blauen Bundesregierung noch im selben Jahr eingestellt.

Als gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt ist „Kultur schafft Arbeit“ von arbeitsmarktpolitischen Strategien abhängig. Im Laufe des Projektes kam es immer wieder zu einer Änderung der Zielsetzung und der Zielgruppen des Projektes sowie der Verweildauer der Teilnehmenden. Ebenso ist die Höhe des jährlichen Budgets von der wirtschaftlichen und politischen Konjunktur abhängig. Aktuell hat die schwarz-blaue Bundesregierung eine Kürzung der Arbeitsmarktförderungen beschlossen, weshalb sich das Projekt „Kultur schafft Arbeit“ mit einer Kürzung von 21% konfrontiert sieht. Der ohnedies schon unterfinanzierten freien Kulturszene in der Steiermark entgehen so in der Zukunft weitere Ressourcen.

Bisher war aufgrund des 2011 gekürzten und seither stagnierenden Landeskulturbudgets eine Übernahme von Transitarbeitskräften für kleine Kulturvereine nur bedingt leistbar, jetzt wird auch der Zugang zu den für ihre Struktur wichtigen temporären Arbeitskräften weiter erschwert. Gleichzeitig wird es arbeitslosen Kunst- und Kulturschaffenden zunehmend verunmöglicht, im Kunst- und Kulturbereich eine Anstellung zu finden. Eine Loose-Situation für alle Seiten.

 

(1)    AMS Österreich (Hg.): AMS report 122. Die experimentelle Arbeitsmarktpolitik der 1980er- und 1990er-Jahre in Österreich, 2017, S.13
(2)    ebda., S. 53f
(3)    Michael Wimmer: Kultur und Demokratie, Studienverlag, 2011, S. 221 http://educult.at/wp-content/uploads/2011/06/Kultur-und-Demokratie-Voll…
(4)    Peter Stoppacher, Marina Edler: AMS info 365. Evaluation der Leistungen und Wirkungen der St:WUK, 2017
(5)     L&R SOZIALFORSCHUNG: Walter Reiter, Susanne Schelepa, Petra Wetzel: Aktive Arbeitsmarktpolitik für KünstlerInnen. Ansätze und Realisierungsempfehlungen, 2013
(6)    Anita Hofer, Stefan Haslinger (IG Kultur Österreich): Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte für Kultur und Bildung. Ein österreichweites Modell

Klaus Schinnerl hat in Graz Geschichte und Geographie studiert, arbeitet als Lehrer und ist im selbstverwalteten Vereinsprojekt SUb sowie im Vorstand der IG Kultur Steiermark aktiv.

Foto: © Wolfgang Rappel

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe „prekär leben“ des Magazins der IG Kultur in Kooperation mit der Arbeiterkammer Wien erschienen. Das Magazin kann unter @email (5€) bestellt werden.