Zurückkehren zur Kulturarbeit in die Oststeiermark

In einer mehrteiligen Reportage ergründet die IG Kultur Steiermark im heurigen Jahr die zeitgenössische Kulturarbeit in den steirischen Regionen. Der dritte Teil unserer Reihe beschäftigt sich mit der Oststeiermark, also mit den Bezirken Weiz und Hartberg-Fürstenfeld. Wir haben dazu eine Umfrage unter den Kulturvereinen gemacht und Gespräche mit Kulturarbeiter*innen geführt.

„Früher sind die Menschen aus der Region verschwunden, sie sind zum Studieren in die Städte gegangen und nicht mehr zurückgekommen“, erzählt Günther Friesinger, Medienkünstler und Obmann der Kulturinitiative KOMM.ST in Anger bei Weiz. Ein bis zwei Generationen hätte die Oststeiermark verloren. Nun lässt sich – nicht erst seit der Corona-Pandemie – beobachten, dass junge Menschen wieder vermehrt in die Region zurückkehren und dort Kulturarbeit betreiben wollen.

Bei der Gudrun im Hof

Nachdem die Schauspielerin Gudrun Maier den Bauernhof ihrer Großeltern in Hainersdorf in der Nähe von Fürstenfeld erbte, war lange nicht klar gewesen, was damit passieren soll. Anfangs diente der Hof den Rabtaldirndln vor allem zum Proben. Dabei entstand dann die Idee, Theaterstücke eigens für das Publikum am Land zu produzieren. Bis dato wurden sechs Produktionen im Hoftheater gespielt. Die Themen wählt man so, dass sich die Leute im Ort direkt angesprochen fühlen. So habe die letzte Produktion Betonfieber im Anschluss an die Vorstellungen noch zu regen Diskussionen über die zunehmende Bodenversiegelung und Verbauung in ländlichen Regionen geführt.

Gudrun Maier schätzt das direkte Feedback des Publikums. Die Theatervorstellungen wurden von den Menschen im Ort von Anfang an sehr gut angenommen. Bei der ersten Produktion sei jede Vorstellung ausverkauft gewesen. Viele der Besucher*innen kommen jedes Jahr gerne wieder. „Es gibt eine Wertschätzung, dass etwas passiert in Hainersdorf und dann geht man hin“, so Maier. Es sein ein großer Vorteil, dass der Hof schon früher ein offenes Haus und ein Treffpunkt im Ort war. Ihr Großvater war Bürgermeister und die Gemeindestube befand sich im Haus. „Viele Leute schätzen, dass am Hof wieder was passiert und man bei uns nach der Vorstellung noch im Hof sitzen und etwas trinken kann.“

Hartberg lebt.

Über positiven Zuspruch seitens des Publikums konnte sich auch Simon Brugner in Hartberg bei seiner Aktion Haus lebt. freuen. Der aus Pöllau stammende Künstler erwarb zusammen mit seiner Lebensgefährtin Petra Hinterleitner ein denkmalgeschütztes Barockhaus in der Hartberger Innenstadt und bespielte es von 19.9.-2.10.2021 erstmals mit Veranstaltungen. Der große Innenhof des Hauses und der seitlich offene Stadl sind dafür ideal. Viele Ältere, die nicht mehr so mobil sind, hätten sich besonders gefreut, dass in der Innenstadt wieder etwas passiert. „Man hat gemerkt, dass das für die Menschen motivierend war und etwas zum seelischen Wohlbefinden beigetragen hat“, so Brugner. Ein erstes Zwischenergebnis der Versuchsanordnung in der Hartberger Innenstadt.

Denn für Brugner ist die Revitalisierung des alten Tuchmacherhauses ein Experiment, wie man dieser Bausubstanz wieder eine neue Funktion geben kann. Es soll ein konsumfreier Ort für Verknüpfungen, fürs Nachdenken und Diskussionen entstehen. Ein kultureller Nahversorger für die Menschen in der Altstadt. „Stadtbelebung muss kleinstrukturiert und von den Leuten, die dort leben und arbeiten, gemacht werden und nicht durch Großprojekte von Investoren“, ist der Künstler überzeugt. Ob er in Zukunft dauerhaft in der Hartberger Innenstadt wohnen wird? Derzeit wird das Haus noch hauptsächlich als Wochenendatelier genutzt, aber vorstellen kann er es sich. Die Immobilien- und Mietpreise in Wien sprechen dafür und einen urbanen Lebensstil könne man schließlich auch in Hartberg pflegen.

Alte Räume – neue Möglichkeiten

Den alten Orten hat sich auch die Kulturinitiative KOMM.ST in Anger bei Weiz verschrieben. Diesen verpassen sie ein „Update“, indem sie sie mit zeitgenössischer Kunst bespielen. „Mit diesem Ansatz werden die Menschen direkt dort abgeholt, wo sie erreichbar sind“, so Günther Friesinger, Produzent des KOMM.ST-Festivals. Folglich wird dann in der Disco Theater gespielt, tritt im Gasthaus neben dem Stammtisch eine Band auf oder performen Butohtänzer in der Pfarrkirche Anger als Erinnerung an die Todesmärsche von ungarischen Jüd*innen durch die Region. Über diese etwas unorthodoxe Form des Gedenkens habe man im Ort noch lange gesprochen. „Während man mit solchen Aktionen in der Stadt kaum noch auffallen würde, könne man am Land damit noch was bewegen“, unterstreicht Günther Friesinger die Bedeutung solcher Aktionen. Man kann dem Publikum am Land durchaus etwas zumuten. Die Offenheit und das Interesse der Menschen in den Gemeinden Anger, Floing und Puch für zeitgenössische Kunst und Kultur kommt aber nicht von ungefähr. 30 Jahre lang machte der Angerer Frühling durch Kulturwochen mit bekannten Musiker*innen, Autor*innen und Maler*innen den Boden für das KOMM.ST-Festival urbar.

Kulturpolitik in den Gemeinden

Das Fundament des Vereins KOMM.ST ist die inhaltliche und organisatorische Zusammenarbeit der drei Gemeinden Anger, Floing und Puch in der ARGE Angerer Frühling. Dort stimmt man die Veranstaltungen in der Region aufeinander ab und vernetzt sie miteinander. Die ARGE sei auch ein Garant dafür, dass die Veranstaltungen in die einzelnen Gemeinden hineingetragen werden. Bei der Gründung der Arbeitsgemeinschaft 1980 legten die Gemeinden auch ihre Kulturbudgets zusammen. Ein Euro pro Bürger*in wird für die Kultur ausgegeben. Ein Teil dieser Summe bildet die Basisförderung fürs KOMM.ST.

Die Budgets vieler Gemeinden sind nicht erst seit der Corona-Pandemie äußerst angespannt, sodass neben den „Pflichtaufgaben“ wie die Erhaltung von Kindergärten und Schulen kaum noch etwas für zeitgenössische Kultur übrigbleibe, wie Waltraud Schwammer, Bürgermeisterin von Dechantskirchen im Wechselland, schildert. Sie versucht indes über die Lokale Aktionsgruppe (LAG) Thermenland-Wechselland durch LEADER-Förderungen die Gasthäuser der Region, als Plattformen für junge Künstler*innen wiederzubeleben.

Oft erhalten die Kulturinitiativen unkompliziert Sachleistungen von den Gemeinden. Aber auch dieser Vorteil scheint zu schwinden. Durch die Gemeindezusammenlegungen kam es zur Professionalisierung der Gemeindeverwaltung. Jetzt werde genauer hingeschaut, wofür die Arbeitszeit der Mitarbeiter*innen aufgewendet wird. „Der Zeitaufwand für Kunst und Kultur wird so sichtbar“, erzählt Michaela Zingerle vom Verein Styrian Summerart in Pöllau und Vorstandsmitglied der IG Kultur Steiermark. Was früher gerne nebenbei erledigt wurde, werde jetzt einer Kostenstelle zugeordnet und schlimmstenfalls verrechnet.

Die Stadtgemeinde Gleisdorf betreibt unterdessen zur besseren Koordinierung eine eigene Anlaufstelle für die Kulturakteur*innen im Ort. Der Kulturpakt Gleisdorf stellt einerseits Räumlichkeiten zur Verfügung und übernimmt Materialkosten für Veranstaltungen und macht andererseits als Plattform die Arbeit der Künstler*innen und Kulturinitiativen sichtbar, indem er bei der Bewerbung von Veranstaltungen hilft und dafür sorgt, dass die Inhalte näher zur lokalen Bevölkerung kommen.

Rock’n’roll im Steinbruch

Gegenüber Rock-Veranstaltungen gebe es in manchen Gemeinden nach wie vor Vorbehalte, die man als Veranstalter*in erst einmal entkräften müsse, erzählt Jeannine Pichler vom Verein Cultura Rustica, der Oststeiermark Dependance des Grazer Vereins Wakmusic. Sie kehrte nach ihrem Studium in Graz aus familiären Gründen wieder in die Nähe von Weiz zurück und ist seither auch verstärkt in der Region als Veranstalterin aktiv. „Am Land gibt es viele coole Locations komplett im Grünen mit einer tollen Atmosphäre“, schwärmt Pichler. Besonders angetan hat es ihr die Kulmarena am Gelände eines ehemaligen Steinbruchs. Seit 2019 veranstaltet Cultura Rustica / Wakmusic dort das StoneBreak Festival mit bekannten Stoner- und Heavyrock Bands. Das Publikum kommt aus ganz Österreich und reist teilweise sogar extra aus Deutschland an. Bei den Jugendlichen in der näheren Umgebung habe sich das Festival allerdings bisher eher weniger herumgesprochen. Ihnen wolle man deshalb in Zukunft den Festivalbesuch besonders schmackhaft machen und u. a. Jugendtickets in den Gemeinden auflegen.

Kulturelle Nahversorgung Oststeiermark

Mit ihrem Verein Cultura Rustica ist Jeannine Pichler Teil des Netzwerks Kulturelle Nahversorgung Oststeiermark, einem Zusammenschluss von kleineren und größeren Kulturveranstalter*innen in der Region. Darunter finden sich neben jungen Initiativen auch langjährig tätige Vereine wie der kulturverein kulm. „Man hat zwar gewusst, dass es noch andere Kulturinitiativen in der Oststeiermark gibt, aber eigentlich hat man nichts miteinander zu tun gehabt“, beschreibt Initiator Günther Friesinger die Ausgangslage. Er hat das Konzept der kulturellen Nahversorgung entwickelt und mit dem Regionalen Jugendmanagement Oststeiermark umgesetzt. Neben der Vernetzung sind Events und deren Sichtbarkeit für Jugendliche durch einen Eventkalender auf der Website des Regional Managements Oststeiermark sowie Mentorship zum Wissenstransfer zwischen Veranstalter*innen die drei Elemente der Kulturellen Nahversorgung.

Kunst und Kultur kann man lernen

Bei allen Aktivitäten der kulturellen Nahversorgung liegt der Fokus auf der Altersgruppe der 12-30-Jährigen. Es ist eigentlich so etwas wie ein Publikumsentwicklungsprojekt. „Je früher man Menschen zeigt, wie viel Spaß Kunst und Kultur machen, desto eher werden sie später Veranstaltungen besuchen und selbst aktiv werden“, so Günther Friesinger. Die Region brauche junge Menschen, die sie mit Gegenkultur und mit kritischem Denken füllen. Diese werden aktiv dabei unterstützt, ihr Vorhaben umzusetzen. „Wir begleiten sie auf einigen Meter und stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite, machen müssen sie es aber selbst.“ Das Angebot reicht von der Hilfestellung bei der Organisation einer Veranstaltung bis zur Einreichung eines LEADER-Projektes.

Ein gutes Beispiel, wie das Gelingen kann, ist der in Anger aufgewachsene Gregor Berger. Durchs KOMM.ST wurde er mit zeitgenössischer Kunst und Kultur sozialisiert und als Poetry-Slammer auf die Bühne gebracht. Später bekam er dann die Möglichkeit, selbst ein Barcamp zum Thema Nachhaltigkeit in einem urigen Gasthaus zu organisieren. „Da haben wir einen Tag lang Leute eingeladen, selbst Vorträge gestaltet und über verschiedene Themen diskutiert“, so Berger. Den gesellschaftskritischen Diskurs führt er mit anderen jungen Menschen aus der Region mit der Künstler*innengruppen nest.treu.beschmutzer.innen auf eine satirisch-parodistische Art fort. „Wir wollen am Land ein Kulturprogramm liefern, das zugleich kritisch und zugänglich ist“, erklärt Gregor Berger seinen Ansatz. Das gilt auch für die Workshops, die er mit dem Verein Kontra.Punkt in Schulen durchführt. Gemeinsam mit einem Team aus Menschen mit und ohne Fluchthintergrund gestaltet er Schulworkshops zu den Themen Rassismus, Klimagerechtigkeit und Kapitalismuskritik.

Die Landespolitik ist gefordert

Den Kulturinitiativen in den Regionen fehlen die nötigen finanziellen Mittel für eine nachhaltige Kulturarbeit. Die Landeskulturförderungen konzentrieren sich stark auf Graz. Günther Friesinger sieht im Kunstraum Steiermark Stipendium des Landes ein geeignetes Instrument für die Eröffnung neuer Kulturräume in der Region. Damit werde auch ein Anreiz zur Rückkehr in die Herkunftsregion geschaffen. Junge Künstler*innen könnten so eine Zeitlang in Ruhe arbeiten.

Gute Erfahrungen haben die Rabtaldirndln mit der Gastspielförderung des Landes Steiermark gemacht. Das Förderprogramm richtet sich direkt an Künstler*innen der Sparten Theater und Tanz und ermöglicht so Theateraufführungen und Performances in kleineren Kulturinitiativen, die sonst nicht finanzierbar wären. Das Programm wird dadurch vielfältiger und auch nachhaltiger.

Die zahlreichen Kulturinitiativen und besonders die jungen Menschen in den Regionen bräuchten vor Ort eine Anlaufstelle, die Kunst- und Kulturprojekte begleitet und niederschwellig möglich macht. Das könnte man durch die Einrichtung von Kulturlandbüros bewerkstelligen, ist Michaela Zingerle überzeugt. Durch die Ansiedelung beim Regionalmanagement könnten sie – analog zu den Jugendregionalmanagements – auch eine Schnittstelle zur Politik sein und wichtige Aufklärungsarbeit bei den Steakholdern in der Region leisten.

Nachhaltigkeit?

Niedrige Miet- und Immobilienpreise und familiäre Bindungen zählen zu den Gründen, warum junge Menschen wieder in die Oststeiermark zurückkehren, um dort zu leben und zu arbeiten. Einige von ihnen begründen auch neue Kulturinitiativen. Eigentümliche Orte und die unmittelbare Wirkung durch die größere Nähe zum Publikum machen die Kulturarbeit am Land attraktiv. Damit dieses Treiben nachhaltig und langfristig geschehen kann, braucht es eine professionelle Begleitung und intensive Vernetzung. Die kulturelle Nahversorgung Oststeiermark bietet ein Netzwerk sowie die notwendige Hilfestellung auf den ersten Metern. Das ist aber nicht genug. Die steirische Landeskulturpolitik muss nicht nur die notwendigen Fördermittel, die kleine Gemeinden oft nur schwer aufbringen können, zur Verfügung stellen, sondern auch maßgeschneiderte Förderschienen und Anlaufstellen für junge Kulturinitiativen in den Regionen entwickeln. Denn die genannten Beispiele zeigen, dass kleine Initiativen einen großen Einfluss auf das Lebensgefühl und das Zusammenleben in der Region haben können.

(Bild (c) Günther Friesinger/KOMM.ST)