„This Baby Doll will be a Junkie“

<p>Die Frage, ob Kunst sich in gesellschaftspolitische Belange einmischen soll, mutet bei einem Projekt wie <i>THIS BABY DOLL WILL BE A JUNKIE</i> wie eine rhetorische Frage an. Das Projekt, das diesen Oktober in Wien stattfand, ist in seiner Anlage längst eine Intervention, wenn auch eine ambivalente. Die Künstlerin Ulrike Möntmann, die dieses Projekt bisher in Unna (D), Amsterdam (NL), Wien (Ö) und Zagreb (KR) durchgeführt hat, begab sich für jedes dieser Projekte

Die Frage, ob Kunst sich in gesellschaftspolitische Belange einmischen soll, mutet bei einem Projekt wie THIS BABY DOLL WILL BE A JUNKIE wie eine rhetorische Frage an. Das Projekt, das diesen Oktober in Wien stattfand, ist in seiner Anlage längst eine Intervention, wenn auch eine ambivalente. Die Künstlerin Ulrike Möntmann, die dieses Projekt bisher in Unna (D), Amsterdam (NL), Wien (Ö) und Zagreb (KR) durchgeführt hat, begab sich für jedes dieser Projekte einige Zeit in Frauengefängnisse, um mit Junkies biografisches Material zu erzeugen, das dann in Form von Audiofragmenten in Keramikpuppen transferiert wird. Aus dem isolierten Raum des Gefängnisses kommen diese Puppen in einen Galerieraum und werden dort für ein paar Tage ausgestellt. Jeweils eine nationale Serie wird nach einem öffentlichen ExpertInnengespräch in der Öffentlichkeit ausgesetzt. Dazu werden in kleinen Gruppen einzelne Puppen an bestimmten Orten in der Stadt „gedropt“. Was mit den Puppen schließlich passiert, bleibt unklar. Ob sie aufgehoben, mitgenommen oder zerstört werden, entzieht sich dem Wissen der Beteiligten. Im Anschluss werden Diskussionen und Materialien auf der Website veröffentlicht.

Drogen„karrieren“ als Schicksal?
Der Künstlerin ist es bewusst, dass schon der Titel des Projektes eine provokative Frage darstellt: Sind Drogen„karrieren“ ein zwanghaftes Schicksal, das in den frühen Biografien der Userinnen festgeschrieben ist? Wie frei ist der einzelne Mensch, kann er/sie das Recht auf Selbstbestimmung überhaupt be- und ergreifen? Ja, schon der Titel ist eine Störung des aktuellen Menschenbildes, leistungsbezogen und leistungsfähig, selbstbestimmt – selbst in den prekärsten Lebenssituationen – und selbstbeherrscht. Die Suchtkranke ist individualisiert und verantwortlich für ihre Situation. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass der Titel die komplexen strukturellen Fragestellungen in einen Opferdiskurs verpackt. Der Satz „THIS BABY DOLL WILL BE A JUNKIE“ schwebt wie eine dunkle Rückblende über dem biografischen Material der Protagonistinnen und wirft seinen Schatten auf die zukünftigen Junkies voraus. Dieses Machtverhältnis findet in meiner Wahrnehmung am meisten im so genannten kulturellen Raum seine Bestätigung. In Wien waren die Puppen in Valie Exports Transparentem Raum / Kubus Export am Gürtel ausgestellt. Die Arbeiten lagen am Boden, und die BetrachterInnen konnten sie in ihrer Nacktheit überblicken, die Reproduktion der Machtverhältnisse scheint der Galerieraum zu begünstigen. Vielleicht könnte dies erklären, warum es in Wien an dieser Stelle eine ungeplante Intervention gab, wobei sich mir die genauere Kenntnis über die Umstände entzieht, jedoch wurden am Tag des ExpertInnengespräches die Puppen aus dem Ausstellungsraum entführt und bis zum frühen Abend versteckt gehalten.

Wissensaustausch und Perspektivenwechsel
Doch die Transferierung von individuellen Geschichten in den Kunstraum ist Ulrike Möntmann zu wenig, mit der Organisation von ExpertInnengesprächen versammelt sie lokal tätige KünstlerInnen, TherapeutInnen, JustizbeamtInnen, TheoretikerInnen, AktivistInnen, SozialarbeiterInnen etc. an einem Tisch. Diese Zusammenführung im Projektspace/Kunsthalle erzeugte eine Form von Öffentlichkeit, die einen erweiterten Dialog ermöglicht. Nicht ein kleines repräsentatives Panel, wie sonst üblich, ist mit der Diskussion betraut, vielmehr geht es um einen Wissensaustausch und einen Perspektivenwechsel zwischen den geladenen ExpertInnen. Dass dies gut funktionieren kann, hat die Wiener Gesprächsrunde gezeigt: Auf Grund der Diversität der Teilnehmenden wurde es möglich, komplexe Fragestellungen um die Bedingungen von Kunst und politischer Intervention aufzuzeigen. Es wurden nicht nur aus künstlerischer Perspektive Erfahrungen ausgetauscht, sondern in großem Maß die Arbeit anderer Einrichtungen an diesen Interventionen sichtbar. Das in diesen Prozessen produzierte Wissen zeigt sich insbesondere dann, wenn z. B. VollzugsbeamtInnen anmerken, trotz der grundsätzlichen Offenheit für künstlerische Projekte im Gefängnis sehr wohl darauf zu achten, ob das Projekt mehr der Profilierung der/des KünstlerIn diene, oder etwa SozialarbeiterInnen über Präventionsarbeit im Bereich der Beschaffungsprostitution berichten und die Problematik der Mehrfachkriminalisierung verdeutlichen. Doch solange Gesellschaft und Polizei Drogenkranke in die Unsichtbarkeit drängen, bleiben die strukturellen Gewaltverhältnisse im Dunkeln. Die Biografien zusammen gelesen machen eine Form struktureller Gewalt gegen Frauen besonders deutlich, nämlich die Erfahrungen, die suchtkranke Frauen mit sexueller Gewalt gemacht haben. Doch so wie Überlebende sexualisierter Gewalt oftmals die Schuld bei sich selbst suchen, tun dies auch vermehrt drogenabhängige Frauen.

Eine Weglegung, die Spuren hinterlässt
Der dritte Raum, den die Kunstaktion bespielt, ist der öffentliche Raum. Im Anschluss an das ExpertInnengespräch wurde die Serie mit biografischen Aussagen der drogenabhängigen Protagonistin Ivana Landmann im städtischen Raum Wiens ausgesetzt. Schon im Vorfeld, bei der Auswahl der Dropping Orte, war Ulrike Möntmann auf Widerstand der öffentlichen OrdnungshüterInnen gestoßen. Ihr Ansinnen, in der Schutzzone im Resselpark, Karlsplatz, eine Puppe hinterlegen zu lassen, wurde verboten. In der Schutzzone vor einer Schule dürfen sich somit nicht nur keine Menschen unter Drogeneinfluss aufhalten, sondern es müssen die SchülerInnen vor künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema geschützt werden. Die ExpertInnen verließen in Dreiergruppen mit einer Keramikpuppe den Kunstraum und übergaben diese der Straße. Eine Weglegung, die ihre Spuren hinterlässt – in der Stadt, in mir. Gleich wie der Satz aus Ivana Landmanns Biografie: „Mit dreiundzwanzig Jahren bin ich clean und erkenne nicht die Bestimmung meiner grenzenlosen Energie!“

Link
www.thisbabydollwillbeajunkie.com

Marty Huber ist queere Aktivistin, Performancetheoretikerin und Sprecherin der IG Kultur Österreich, derzeit in Bildungskarenz.