Bambiland
Im Rahmen der Serie tragödienproduzenten erreichte das theatercombinat nach Antike, Renaissance und Barock die Gegenwart und gestaltete Elfriede Jelineks vielschichtigen Theatertext „Bambiland“ als akustisch-choreographische Stadtkomposition.
Im Rahmen der Serie tragödienproduzenten erreichte das theatercombinat nach Antike, Renaissance und Barock die Gegenwart und gestaltete Elfriede Jelineks vielschichtigen Theatertext „Bambiland“ als akustisch-choreographische Stadtkomposition. Von 15.Oktober bis 4. November fanden insgesamt sieben Interventionen an unterschiedlichen öffentlichen Orten in Wien statt.
Elfriede Jelinek schrieb den Botenbericht „Bambiland“ 2003 unter dem Eindruck des dritten Golfkrieges. Als Vorlage diente ihr der älteste überlieferte Theatertext, „Die Perser“ von Aischylos in einer Übersetzung von Oskar Werner. Unter Einbeziehung von zweieinhalb Jahrtausenden dazwischen liegender Menschheitsgeschichte werden alle erdenklichen Aspekte des Krieges aufgegriffen und im Wortsinn zur Sprache gebracht. Der Text wendet und windet sich, mal spielerisch lauernd, mal heftig attackierend, immer bedrohlich, und trifft am Unerbittlichsten, wenn er sich schmeichelnd harmlos gibt. Dass der Kriegsbericht bisweilen zur Werbebotschaft gerät, liegt in der zynischen Natur der Sache. Bambiland eben.
Claudia Bosse formte den Text zu einer komplexen Partitur, die von Anne Bennent mit äußerster stimmlicher und vor allem gedanklicher Präzision gesprochen wurde. Mithilfe von Overdub-Aufnahmen trat sie passagenweise auf bis zu vier Tonspuren ins Gespräch mit sich selbst. Dieser Chor einer einzelnen Stimme wurde von bewegten Klangobjekten wiedergegeben. Zu Verfügung standen Lautsprecher, die mit Parabolspiegelantennen als Schallverstärker versehen auf Gepäckwagen montiert waren, sowie auf Helmen befestigte Megaphone. Dem Prinzip des antiken Tragödienchors folgend waren jeweils zwölf dieser Objekte gleichzeitig aktiv. Die Stimme/n des körperlich abwesenden, in seiner medialen Abstraktion aber umso präsenteren Sprech-Chores wurde/n von einem Bewegungs-Chor in strengen, für jeden der Orte eigens entwickelten Figuren bewegt. Unserer multimedialen Gesellschaft entsprechend wurde die antike Form noch um einen ebenfalls bewegten TV-Bild-Chor und einen Beobachtungs-Chor erweitert. Letzterer schloss alle Anwesenden mit ein, Akteurinnen und Akteure, Zuschauer und Zuschauerinnen, ebenso wie zufällig Vorbeikommende. Eröffnet wurde die Serie mit einer Gala-Intervention auf dem Schwarzenbergplatz. Die nächste Aktion fand beidseitig an den Ufern des Donaukanals in unmittelbarer Nähe des OPEC Gebäudes statt, an einer der konkretesten räumlichen Grenzen innerhalb Wiens. Darauf folgte die Bambiland-Expedition ums, im und am Haus des Meeres (dem ehemaligen Flakturm Esterhazy-Park), die Bambiland-Kriegs-Disney-Beschallung auf dem Heldenplatz anlässlich des Nationalfeiertages, Bambis Universe im MAK Gegenwartskunstdepot Gefechtsturm Arenbergpark sowie Jelineks Disney in Donaustadt (in Form einer Parallelaktion in drei Höfen der Rennbahnwegsiedlung). Mit der Abschlussveranstaltung Bambis Entscheidung am Tag der amerikanischen Präsidentenwahl schloss sich der Kreis wiederum auf dem Schwarzenbergplatz. Bei dieser letzten Aktion wurden vom Bild-Chor Aufnahmen der vorangegangenen Interventionen wiedergegeben.
An jedem dieser sorgfältig ausgewählten Orte entfaltete der Text verblüffend unterschiedliche Wirkungen und Bedeutungen. Auch der gerade eingenommene Standort innerhalb eines Schauplatzes konnte das subjektive Erleben drastisch verändern. Von individuellen Standpunkten intellektueller, emotionaler oder sonstiger Art ganz zu schweigen. Einigen Mitmenschen wird Elfriede Jelinek wohl lebenslang Ärgernis bleiben und das theatercombinat zeigte keinerlei Tendenzen, das zu mildern oder gar zu verschleiern. Während der Intervention auf dem Heldenplatz kam es daher bedauerlicherweise vereinzelt zu Tätlichkeiten. Bambiland eben, auch und gerade hier. Aber dies nur nebenbei. Sorgten die Megaphonhelme für eher flächige Beschallung mit stets knatternd, autoritärem Hintergrund, waren die Parabolspiegelwagen einerseits subtiler Kammertöne fähig, konnten aber ebenso den Schall zu massiven Strahlen bündeln, ihn je nach Gegebenheit derb ans Brustbein prallen oder als Echo empfindlich das Genick berühren lassen. An anderer Stelle sah derselbe Moment wieder ganz anders aus, hörte sich ganz anders an, hinterließ andere Spuren beim Betrachten. Wurde ein Ort eben noch benutzt, überlagert, unterworfen, so konnte er bereits im nächsten Augenblick gnadenlose Dominanz erlangen. So war bei jeder einzelnen der Interventionen derselbe Text in derselben Aufnahme völlig anders wahrzunehmen. Jedes Mal waren neue Details zu erblicken und erlauschen, waren Akzente anders gesetzt, wurden andere Assoziationsketten in Gang gebracht. Noch selten hörte ich einen Text so präsent und intensiv, sah ihn so sehr für sich selbst gestellt. Und dieser Text lohnt das Vertrauen durch seine facettenreiche Tiefe, die hier unverziert zum Ausdruck kam. Bei aller Klarheit der Diktion bleiben ihm dennoch rätselhafte Ecken und Winkel, Schleifen und Bögen. Mit Spannung erwarte ich daher die Fortsetzung, wenn Bambiland 2009 als Teil des tragödienproduzentenmultihybrids, dem geplanten Abschluss der Serie tragödienproduzenten des theatercombinats, zu erleben sein wird.
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Herbert Gnauer ist freier Radiomacher bei ORANGE 94.0 und lebt in Wien