Ban Marriage
Sushila_Mesquita: Ban Marriage! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive. Wien: Zaglossus 2011
Dass ein schwuler Hauptstadtbürgermeister, der Live-Ball als staatstragendes Society-Event und die Einschaltquoten für The L-Word queere Kämpfe nicht obsolet machen, dürften die meisten hier bereits geahnt haben. Dass mit dieser gesellschaftlichen Normalisierung von lesbischen und schwulen Lebensweisen jedoch auch neue Exklusionen und reaktionäre Normierungen verbunden sind, wird in diesem Band am Beispiel der sogenannten Homo-Ehe aufgezeigt. Der analytische Zugang erfolgt dabei über den Begriff der Heteronormativität, der die gesellschaftliche Institutionalisierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit beschreibt. Anstatt Heteronormativität jedoch als universales, transhistorisches Prinzip vorauszusetzen, betont Mesquita die Notwendigkeit, diese immer in ihrer konkreten Verstrickung mit Sexismus, Rassismus, Ausbeutung und anderen Übeln zu analysieren und damit neben Mechanismen der Exklusion und Kriminalisierung zunehmend auch Formen der partiellen Integration von lesbischwulen Lebensweisen in den Blick zu nehmen.
Das Schweizer Lebenspartnerschaftsgesetz, auf dem der Fokus liegt, wird daran anschließend mit Antke Engel als Form der „hierarchisch differenzierten Integration“ analysiert. Denn einerseits kommt es mit dem Rechtsinstitut der Verpartnerung zwar zu einer Integration von Lesben und Schwulen in Rechtsansprüche, die vormals nur Ehepartner_innen offen standen, etwa im Steuer-, Erb- und Sozialversicherungsrecht. Zugleich werden lesbische und schwule Partner_innenschaften jedoch „als Anderes“ integriert, da ihnen das Recht auf Adoption und assistierter Fortpflanzung und somit der Familienstatus verwehrt bleibt. Die Schweizer Gesetzgeberin argumentiert dabei zentral mit dem „Kindeswohl“, das nur durch die Anwesenheit – nicht unbedingt der leiblichen, wohl aber – notwendig verschiedengeschlechtlicher Elternteile sichergestellt sei. Normierend wirkt das Partnerschaftsgesetz zudem insofern, als auch nur spezifische Beziehungsformen abgesichert werden: kinderlose Zweierbeziehungen aufenthaltsberechtigter Partner_innen, die im Idealfall beide voll erwerbstätig sein können und es auch sind.
Es gibt also neben den offensichtlichen Kontinuitäten auch neue Verschiebungen im heteronormativen Normenkomplex. Werden lesbischwule Partnerschaften nun rechtlich abgesichert, bleibt ihnen die Anerkennung als Familie verwehrt. Letzteres wird – und das ist ein wichtiger Punkt – nicht mehr über die sexuelle Orientierung begründet, sondern über die Annahme einer notwendigen und exklusiven Geschlechterdichotomie und die Frage von Elternschaft und „natürlicher“ Reproduktion.
Die Forderung nach Öffnung der Ehe als Ziel schwuler und lesbischer Politiken wird daran anschließend noch einmal grundlegend problematisiert, da dadurch stets nur spezifische Beziehungsformen privilegiert werden und dies andererseits die Gefahr in sich birgt, sich in neoliberale Privatisierungstendenzen von Sorgearbeit einzufügen. Vor diesem Hintergrund werden schließlich Vorschläge für ein Verqueeren von Familienpolitik skizziert, wobei die Schaffung von unterschiedlichen rechtlichen Anerkennungsformen („Paketlösungen“) für die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Beziehungskonstellationen im Zentrum steht. Wenn hier auch eine breitere und historische Rezeption von Lebensformenpolitiken interessant gewesen wäre, wird mit dem Aufzeigen der notwendigen Bedingungen einer queeren Familienpolitik zugleich der radikale Gehalt einer solchen im vollen Ausmaß klar: Bleiberecht und soziale Absicherung für alle, bedingungsloses Grundeinkommen, Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit!
Sushila_Mesquita: Ban Marriage! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive. Wien: Zaglossus 2011