Check Instead:

Wie wir wissen, ist Checking das, was im Moment passiert, wenn manche Länder des ehemaligen Osteuropas der EU beitreten oder wenn darüber verhandelt wird, ob neue Länder wie Kosovo, Serbien, Mazedonien, Bosnien, Albanien etc. beitreten sollen. Diese Länder werden als rückschrittlich oder nicht genug entwickelt konstruiert, wenn es um politische Werte und Emanzipation geht.

Dieser Text ist eine bearbeitete Abschrift eines Teils der Panel Diskussion, die in der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) im Januar 2010 stattgefunden hat[1]. Sie ist verbunden mit dem Projekt Check Instead: the Colonial Matrix of Power!, das sich aus einem Workshop und einer Ausstellung in der VBKÖ (in der eine kollektive Installation produziert wurde), der Panel Diskussion und der Ausstellung im Rahmen des Rundgangs an der Akademie der bildenden Künste Wien zusammensetzt.

Ivana: Der Titel des Projektes bezieht sich einerseits auf die Ausstellung Gender Check, Femininity and Masculinity in Eastern European Art im Mumok, die von der Erste Foundation initiiert wurde. Andererseits nimmt er Bezug auf das theoretische Konzept der kolonialen Matrix der Macht, die von Hanibal Quijano geprägt und von Walter Mignolo und dem Kollektiv Modernity/Coloniality/Decoloniality aus Lateinamerika neu vorgeschlagen wurde. Walter Mignolo erklärt, dass die koloniale Matrix der Macht vier miteinander in Wechselbeziehung stehende Bereiche verknüpft: die Kontrolle der Ökonomie, die Kontrolle der Autorität, die Kontrolle des Geschlechts und der Sexualität und die Kontrolle von Wissen und Subjektivität. Außerdem argumentiert Mignolo, dass obwohl es wahr ist, dass der Kolonialismus mit der Dekolonisierung im zwanzigsten Jahrhundert endete, Kolonialität durch die Führung der USA neu formuliert wurde. Die koloniale Matrix der Macht wurde als Matrix der Kontrolle, Dominanz und Ausbeutung beibehalten[2].

Es gibt mehrere Gründe, warum wir die Notwendigkeit sahen, eine künstlerische, theoretische und aktivistische Intervention mit Bezug zur Ausstellung Gender Check vorzunehmen: Wir fanden den Titel und das Konzept der Show extrem problematisch, weil es sich auf ein Machtverhältnis bezieht, das aus eine_, der/die checkt und eine_, der/die gecheckt wird, besteht. Wie wir wissen, ist Checking das, was im Moment passiert, wenn manche Länder des ehemaligen Osteuropas der EU beitreten oder wenn darüber verhandelt wird, ob neue Länder wie Kosovo, Serbien, Mazedonien, Bosnien, Albanien etc. beitreten sollen. Diese Länder werden als rückschrittlich oder nicht genug entwickelt konstruiert, wenn es um politische Werte und Emanzipation geht.

Generell basierte die Geschichte der Repräsentation in der Ausstellungsgeschichte Westeuropas oft auf sexistischen und rassistischen Stereotypen und war direkt mit der Kolonialität von Macht verbunden. Mit den Veränderungen in Europa und global in den letzten Jahrzehnten (so wie die EU Integration) sind neue Tendenzen in der Repräsentationsform aufgetaucht. Kräfte werden gesammelt, nicht nur um die Kreativität des „sich entwickelnden Anderen“, sondern auch um die Emanzipation des „sich entwickelnden Anderen“ zu überprüfen. Oder besser gesagt, um zu überprüfen, wo auf der Skala der Implementierung neo-liberaler Werte der „sich entwickelnde Andere“ steht.

Die Ausstellung Gender Check sollte nicht losgelöst von neoliberalen Technologien des Gender Mainstreaming betrachtet werden. Von den erwähnten Ländern wird erwartet, einen bestimmten Fortschritt in der vorgeschriebenen (und man kann sagen gewaltvollen) Implementierung der EU-Bestimmungen und -Werte zu demonstrieren. Tihomir Topuzovski, ein Künstler und Theoretiker aus Mazedonien, hat neulich diese Situation analysiert und geschrieben, dass der westliche Balkan unter die Tutorschaft der Europäischen Union gestellt wurde, um realpolitische Werte in der Region für die Zukunft zu kreieren. Das ganze Programm, das für diese Region kreiert wird, ist eine Therapie, die von einer Instanz von Experten verschrieben wird. Diese Implantate müssen notwendigerweise akzeptiert werden, weil die Staaten des Westlichen Balkans nicht in einer Beziehung der Gegenseitigkeit mit der EU stehen, sondern in einer Relation ohne Austausch, einer Relation, die die imperative Form des Sprechens inkludiert[3].

Der Anlass für die Organisation dieser Show ist der 20-jährige Gedenktag des Falls der Berliner Mauer. Das bedeutet, dass diese Show direkt mit dem Narrativ eines Europas ohne Grenzen verbunden ist. Europa ist nicht mehr geteilt, aber dafür muss ein Preis gezahlt werden: Während Grenzen verschwinden, werden sie tief ins soziale Bewusstsein eingeschrieben und zwar durch zahlreiche Prozesse, die Kolonialität und Kapitalismus aufrechterhalten.

Ana: Was bedeutet es Gender zu checken? Und wer checkt wen? Weibliche und männliche Rollenbilder in Osteuropa auszustellen ist ein Beispiel dafür, wie ein selbsterklärter emanzipierter Westen einen Link zu einem „unemanzipierten“ postsozialistischen Osten kreiert. Gender, das aus der feministischen Bewegung hervorgegangen ist und in der Zwischenzeit ein politisches Instrument des Neoliberalismus wurde, dient der Implementierung westlicher Diskurse der geschlechtlichen und sexuellen Befreiung in Osteuropa. Der Einschluss von geschlechtlicher und sexueller Andersartigkeit in den kapitalistischen Markt passiert, um eine Politik zu etablieren, die geschlechtliche und sexuelle Überlegenheit als Instrument für Ausbeutung konstruiert. Daher ist die oft formulierte Kritik an der Entpolitisierung von Feminismus, am selektiven Einschluss von Frauen, Lesben und Schwulen in den kapitalistischen Markt und in nationalstaatliche Institutionen nicht genug. Es ist wichtig, darauf zu bestehen, dass dieser selektive Einschluss nur für diejenigen möglich ist, die bereit sind, Rassismus innerhalb einer globalen Ordnung zu reproduzieren. Es ist nicht der Widerstand gegen repressive Systeme, der eingeschlossen und entpolitisiert wird, ganz im Gegenteil, es ist das System selbst, das die Parameter für eine Befreiung setzt, um sie in weiterer Folge für imperialistische Zwecke zu gebrauchen. Als Folge sehen wir uns ein weiteres Mal mit der Konstruktion eines liberalen Westens und eines unemanzipierten Ostens konfrontiert. Für die Feierlichkeiten zum Fall der Berliner Mauer, der als Befreiung von totalitären Systemen unhinterfragt bleibt, mussten die „Befreiten“ eine historische Kontinuität mit westlichen Befreiungsbewegungen kreieren und osteuropäische Geschichte in ihrer eigenen Geschichte auslöschen.

Parallel zu dieser Untersuchung und Kontrolle sozialer Emanzipation und politischer Werte werden staatlich legitimierter Rassismus und patriarchale Modelle des Ausschlusses in Westeuropa kontinuierlich reproduziert. Wir können eine Kontinuität kolonialer Praktiken vorfinden, in der Art und Weise, wie östliche und südliche Welten als unzivilisiert, unterentwickelt und barbarisch wahrgenommen werden und wie Migrant_innen in westlichen Ländern ständig überwacht, beschuldigt und kriminalisiert werden. Diese institutionalisierten rassistischen Prozesse, die zusätzlich zur Konstruktion eines Westeuropas als einzigartig, progressiv und emanzipiert auftreten, werden niemals gecheckt. Unsere Intervention nimmt Projekte wie Gender Check als Ausgangspunkt für eine kritische Reflexion der aktuell stattfindenden westlichen Untersuchung und Kontrolle demokratischer Werte und der sozialen Emanzipation außerhalb der ersten kapitalistischen Welt. Außerdem war unser Projekt eine Plattform, um darüber nachzudenken, wie ein de-linken von einem globalen kapitalistischen Verständnis durch Intervention aussehen könnte.

Ivana: Ich möchte Marissa und Miltiadis, die am Workshop teilgenommen haben, bitten, ein paar Punkte vorzubringen, die sie interessant oder problematisch fanden.

Marissa: Zunächst wollten Miltos und ich nicht ein Analysepapier des Workshops präsentieren, weil wir finden, dass es besser ist, einige Fragen, die für uns offen sind, zu stellen und direkt in die Diskussion zu gehen, weil das Projekt selbst mehr den Prozess der Reflexion als die Produktion eines Endproduktes zum Gegenstand hatte. Vielleicht können wir damit beginnen, zu erklären, warum wir in der Einladung zum Panel den Begriff „anonym“ neben unseren Namen haben wollten.

Miltiadis: Unseren Status als „anonym“ zu deklarieren hat damit zu tun, uns selbst in einer Subalternität zu positionieren, um die Frage danach zu stellen, wer das Recht darauf hat, in diesem spezifischen Diskurs repräsentiert zu werden. Eine Frage, mit der wir von Anfang an konfrontiert waren, war, wie sehen wir uns selbst in diesem Diskurs, was ist unsere Position.

Marissa: Wenn wir über Repräsentation/Artikulation reden, würde ich Spivak zitieren, wenn sie über die Definition von Repräsentation als „Darstellung“ und Reprä-
sentation als „Vertretung“ spricht. Durch Teilhabe an der Repräsentation als „Vertretung“ kreiert man eine Art soziales Subjekt, und durch Teilhabe an der Repräsentation als „Darstellung“ nimmt man Teil an der Repräsentation eines anderen und nicht an der Schaffung eines Subjekts. Wenn ich an meine eigene Repräsentation denke, dann ist klar, dass ich nicht alle repräsentieren kann. Eine Migrantin und ein schwarze Frau zu sein bedeutet nicht, dass ich alle Migrantinnen und alle schwarzen Frauen repräsentieren kann. In dieser Diskussion als „anonym“ teilzunehmen, zielt auf die Ablehnung, durch ein spezifisches Label (zum Beispiel als Kunststudentin) definiert zu werden. Das könnte der Beginn einer Ablehnung von einem marktspezifischen Label und Status sein.

Miltiadis: Die Frage ist mit Sicherheit nicht dieselbe für alle, die an diesem Prozess teilnehmen, wenn man berücksichtigt, dass alle Menschen unterschiedliche Hintergründe haben und in unterschiedlichen Feldern arbeiten. Wichtig für mich (der als weißer männlicher Europäer sichtbar ist) ist, das zu reflektieren und die naturalisierte privilegierte Position als weißer Mann als konstruiert zu begreifen, die direkt zur Legitimation der repressiven westlichen Ideologie führt. Ich denke, das ist die einzige Möglichkeit, mich in einem breiteren Diskurs der postkolonialen Kritik zu positionieren. Außerdem können wir zwei Hauptpunkte, die wir in diesem Prozess von Anfang an problematisch fanden, nennen – die Sprache und den Raum. Was bedeutet Dekolonialität auf dem Feld der Sprache?

Marissa: Wie funktioniert ein postkolonialer Diskurs als Netzwerk sozialer Beziehungen und als Mechanismus der Signifikation? Hier gab es eine intensive Diskussion innerhalb der Gruppe: Wie werden Kunsträume definiert, und wer hat Zugang zu ihnen? Nochmals, wenn wir bereits diesen Zugang haben, können wir nicht unsere Verantwortung für die Teilnahme an diesem Diskurs als bereits privilegierte Kunststudent_innen leugnen, die eine spezifische Sprache benutzen.

Miltiadis: Speziell im Kontext der Kolonialität ist Sprache nicht einfach ein Werkzeug für Kommunikation, sondern ein Werkzeug für Wissensproduktion und in diesem Fall einer eurozentristischen Wissensproduktion. Es schließt umgehend alle aus, die nicht die englische imperiale Sprache verstehen und sogar die, die sie nicht gut genug verstehen. Das Problem, das daraus entsteht und mit dem wir konfrontiert waren, ist das eines elitären Diskurses. Wie können wir dem entrinnen? Mit welchen Strategien? Und im Kontext eines lokalen Raumes mit einer bestimmten Geschichte: Wie können wir selbst durch einen spezifischen Sprachgebrauch aktiv werden innerhalb eines Raumes?

1 Aufgrund von Platzmangel ist es nicht möglich, alle Präsentationen (Marina Gržinić und Therese Kaufmann) und die Diskussion mit dem Publikum zu reproduzieren. Wir hoffen, in der Zukunft eine Gelegenheit dazu zu haben.
2 Gržinić, Marina/Mignolo, Walter (2008/09): „De-linking epistemology from capital and pluriversality – a conversation with Walter Mignolo“. In: Reartikulacija, No. 4-6.
3 Topuzovski, Tihomir (2009): „From the Imagining of the Balkans to the Invention of the Western Balkans“. In: Reartikulacija, No. 6.

ANMERKUNG
Mehr Informationen unter: www.vbkoe.org

Check Instead: the Colonial Matrix of Power! ist ein von Ivana Marjanović und Ana Hoffner initiiertes und organisiertes sowie durch die VBKÖ und die Postconceptual Art Practices Klasse, Akademie der bildenden Künste, unterstütztes Projekt, das auch Teil der Squatting Teachers Initiative innerhalb der Universitätsproteste war. Folgende Student_innen und Künstler_innen nahmen daran teil: Branko Andrić, Sheri Avraham, Iris Borovčnik, Lina Dokuzović, Christian Gangl, Miltiadis Gerothanasis, Tatiana Kai-Browne, Baris Kiziltoprak, Marissa Lobo, Nataša Mackuljak, Maria Muhar, Marion Oberhofer, Ervin Tahirović, Majda Turkić und Reinhard Uttenthaler.

Übersetzung aus dem Englischen: Ana Hoffner