Das Dunkle Zeitalter - Neue Medien und die Krise der Demokratie
Warum eine Konferenz, die sich den Fragen der gegenwärtigen Entwicklung im Bereich elektronischer Medien, Kultur und Demokratisierung widmet, das Wort "Markt" im Titel führt, ist mittlerweile nahe liegend. Sachte oder auch weniger subtil werden in alle Bereiche sozialer Interaktion ökonomische Kriterien eingeführt und der Geldwert zum Maß aller Dinge.
Die Anfang Oktober von Public Netbase in Wien veranstaltete Konferenz "Dark Markets - Infopolitics, Electronic Media and Democracy in Times of Crisis" versuchte, aus aktuellen Analysen und Interpretationen Handlungsanleitungen und Strategien zu einer emanzipativen Praxis demokratischer Informations- und Kommunikationspolitik zu entwickeln.
Warum eine Konferenz, die sich den Fragen der gegenwärtigen Entwicklung im Bereich elektronischer Medien, Kultur und Demokratisierung widmet, das Wort "Markt" im Titel führt, ist mittlerweile nahe liegend. Sachte oder auch weniger subtil werden in alle Bereiche sozialer Interaktion ökonomische Kriterien eingeführt und der Geldwert zum Maß aller Dinge: vom Schrecken der so genannten "Kreativwirtschaft", als Brandrodung einer sich der Verwertungslogik widersetzenden Kultur, bis zur Übernahme des Bildungsektors durch Limonadenhersteller oder der Freisetzung von Forschung in die Umklammerung von Firmeninteressen. Der globalen Dominanz von Wirtschaftsinteressen in der Infosphäre stehen weder eine am öffentlichen Interesse orientierte Forschung noch Modelle für einen emanzipatorisch digitalen Raum gegenüber. Im Gegensatz zur Etablierung von unternehmerischen Interessen mit Hilfe von Milliarden-Dollar-schweren Think Tanks und der Meinungsbildungsindustrie gibt es keine "Zukunftsinstitute", die sich mit den Möglichkeiten menschlicher Kommunikation jenseits der Rolle des Konsumenten befassen. Die Kontrolle der gesellschaftlich-technologischen Entwicklung scheint in den Händen technokratischer Eliten, schlecht informierter Bürokraten und obskurer, aber aggressiver Lobbyisten zu liegen.
Die traditionellen Formen nationalstaatlicher Demokratie werden zunehmend nicht nur durch übergreifende globale Kommunikations- und Regelsysteme, sondern vor allem auch durch wirtschaftliche Einflüsse in Frage gestellt. Dies verdeutlicht sich durch den Umstand, dass von den 100 größten ökonomischen Einheiten weltweit bereits mehr als die Hälfte Firmen sind, deren interne Bewegung von Gütern ein Drittel des Welthandels ausmacht, oder auch durch die Tatsache, dass die Top drei Milliardäre das Bruttonationalprodukt der 50 wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Länder der Welt übertreffen. Dennoch bleibt es als rhetorische Figur der Meinungsbildung weitgehend unwidersprochen, komplexe gesellschaftliche Vorgänge auf vermeintliche ökonomische "Selbstregulierungsvorgänge" zu reduzieren Es ist liegt daher auf der Hand, die allseits konstatierte Düsternis im Zusammenhang mit Krieg, Krise und Verschlechterung der Lebensbedingungen unter dem Gesichtspunkt der Marktwirtschaft zu betrachten. "It's the economy, Stupid!" war das Losungswort mehrerer US Präsidentschaftswahlkämpfe und das Mantra wirtschaftsliberaler Meinungsmacher. Aber nicht erst seit World. Com und Enron ist sonnenklar, dass die von den Hohepriestern der Voodoo-Ökonomie ausgerufenen Märkte der "unsichtbaren Hand" so dunkel sind, dass die eigene Hand vor dem Gesicht nicht mehr zu sehen ist.
Die Mischung post-modernisierter Ratlosigkeit und bürgerlicher Orientierungslosigkeit erzeugt in neoliberalen Marktwirtschaften eine nachhaltige Atmosphäre von Perspektivlosigkeit, die nicht nur eine demokratische Entwicklung erfolgreich behindert, sondern vor allem auch jedes Interesse an politischen Vorgängen selbst erstickt. Die Konfusion und Resignation nach dem 9-11 und dem Ausbruch des Weltkriegs gegen den "Terror" stehen aber auch im Zusammenhang mit der Unfähigkeit linker Weltsichten, mit der Polyzentrizität und Hyperkontextualität der neuen Welt umzugehen. Auch wenn Utopien momentan keine Konjunktur haben und Stagnation inflationär ist, noch ist das nicht das Ende der Geschichte.
Unabhängig vom gesellschaftlichen Ordnungssystem scheint weder das Modell der zynischen Freiheit im demokratischen Kapitalismus noch das der ohnmächtigen Gleichheit im Realsozialismus gültige Antwort auf Fragen von Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde zu geben; auch die Behauptung, die Gesellschaft wäre, wenn man sie nur ihrem spontanen Selbstlauf überließe, allein aufgrund der technologischen Neuerungen zu einer Entwicklung in Gleichheit und Wohlstand bestimmt, ist längst als Lüge widerlegt. Diese Automatismen sind weder neutral noch natürlich, sondern folgen geschichtlich bedingt dem Prinzip, dass privater Profit Vorrang vor jedem gesellschaftlichen Interesse besitzt. Dies ist der Schlüssel im gesamten Regelwerk sozialer Beziehungen, was sich auch in der Infosphäre und in der fortschreitenden Kolonisierung des Internets durch multinationale ökonomische Interessengruppen zeigt. Obwohl typischerweise die durchschlagskräftigsten Innovationen der Netzwelt (wie das Internet selbst oder auch die am meisten verbreitete Suchmaschine Google) ursprünglich außerhalb des kommerziellen Wettbewerbs entwickelt worden sind, wird die demokratische Entwicklung der Technologie einer wissensbasierten Gesellschaft ausgerechnet den "unsichtbaren Händen" düsterer Märkte überantwortet.
Nach dem Abschied des Sozialismus fehlt die grundlegende Auseinandersetzung mit dem demokratischen Kapitalismus, und eine Kritik der traditionellen Linken am Hightech-Neoliberalismus greift vielfach zu kurz. Obwohl beispielsweise Richard Barbrook und Andy Cameron in einem bekannten Text die so genannte "Kalifornische Ideologie" als politisches Konstrukt entzaubern, wirken die angebotenen Gegenmodelle dann doch sehr abgestanden. Es zeigt sich die Hilflosigkeit, mit dem traditionellen Instrumentarium linker Politik die Logik der intellektualisierten Arbeit im Netzwerk des Pankapitalismus zu erfassen. Es scheint, dass die etablierten Herrschaftsstrukturen die neuen Paradigmen und Technologien einer Wissensgesellschaft vielfach besser für sich zu nützen wissen, als es deren Kritikern gelingt. Das Misstrauen von Traditionalisten gegen neue Denkansätze äußert sich beispielsweise in bissigen Polemiken gegen das techno-nomadische Denken von Deleuze und Guattari als "Neoliberalismus für Hippies". Aber dieser konservative Gestus, die Ablehnung aller Versuche, eine Kritik auf der Höhe der Zeit zu entwickeln, verhindert auch die Ausbildung von Widerstandsformen gegen die Entmündigung des Subjekts im Semiokapitalismus. Franco Berardi Bifo, einer der Vordenker und Pioniere neuer Medien im sozialen Kontext, plädiert daher für eine "Kritik des Alltagslebens", der die Wirkungen informatischer Netzwerke und die Verhältnisse der intellektualisierten Arbeit nicht egal sind.
Die Vorstellung, dass demokratisch legitimierte Herrschaft nicht als Herrschaft anzusehen ist, hat Tradition, aber der Einsatz von Mehrheiten gegen Grundrechte und Menschenwürde ist auch in den westlichen Demokratien leider keine Ausnahme. Misshandlung aufgrund von Abstimmungsergebnissen erweckt wenig Vertrauen in Mehrheitsentscheidungen. Emanzipation im demokratischen Zeitalter bedeutet daher auch Schutz vor Demokratisierung als Anspruch anderer, das Individuum zu beeinträchtigen oder zu bevormunden. Und daher gibt es eine politische Grundhaltung, die darauf abzielt, Macht zu begrenzen und zurückzudrängen.
Die mehr als interessierte Aufnahme, die das Buch "Empire" weltweit gefunden hat, kann wohl auch mit dem empfundenen Mangel einer emanzipatorischen Kritik hegemonialer Dominanz, die den veränderten gesellschaftlichen Vorraussetzungen Rechnung trägt, erklärt werden. Auch wenn vielfach die zu wenig tiefgehende Ablösung von einem klassisch marxistischen Ansatz beklagt wurde, so wird doch die Notwendigkeit zu neuen Denkansätzen und auch Begrifflichkeiten wie "Multitude" deutlich. Es ist zunehmend notwendig, eine Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus als semiotischen Fluss vorzunehmen, die Aufgaben der Kritik neu zu verorten und neue Möglichkeiten der Transformation und Einflussnahme wahrzunehmen, die sich die bestehenden Kräfteverhältnisse zunutze machen können.
"Eine Generation junger Technologen wurde in die Religion der Märkte und der Theorie der Aktienbesitzwerte indoktriniert - jetzt wo das alles in die Luft gegangen ist, wissen sie nicht mehr, was sie glauben oder tun sollen." Paulina Borsook, Autorin des Buchs "Cyberselfish" über Glück und Fall von Silicon Valley, vergleicht unsere Gegenwart mit dem Dunklen Zeitalter: "Jede gesellschaftliche Entwicklung war zusammengebrochen." Technologien gingen verloren, Entdeckungen wurden immer unwichtiger und überregional agierende Kleptokraten bereicherten sich am Wohlstand ganzer Generationen. Während altes Wissen verloren ging, wurde kaum neues geschaffen. Die Reichen wurden sehr viel reicher, alle anderen wurden ärmer, währenddessen die barbarischen Horden, Vandalen und Warlords die Reste der Zivilisation plünderten und ausbeuteten. Borsook identifiziert die räuberischen Clans von damals mit dem Transnationalen Business von heute und vergleicht Microsoft mit der Einführung des Christentums als brutal durchgesetzte Staatsreligion, um Menschen zu binden und Wechsel zu verhindern. "Technologie ist jetzt völlig außer Mode, so wie das Interesse an sensiblen Philosophien wie Stoizismus oder Epikureanismus." Willkommen in Byzanz 550 AD.
Auf der Suche nach einer Weiterentwicklung einer emanzipatorischen Politik stellt der Historiker und Politikwissenschaftler Christoph Spehr insbesondere Fragen nach den Bedingungen und der Förderung freier Kooperation in selbstbestimmten Räumen und Zusammenhängen. Laut Spehr, dem Autor des Buchs "Die Aliens sind unter uns", sind wir "in Wirklichkeit" die Opfer einer genetischen Kolonisation von Aliens, die darauf programmiert wurde, nach dem Zeitalter personalisierter Herrschaft die demokratischen Strukturen zu übernehmen. "Es ist die Erfahrung, dass Leute auf den ersten Blick aussehen wie normale Menschen, wie du und ich, einem fremden Programm folgen, einem feindlichen Programm, das sie als Angehörige einer fremden Gattung ausweist; dass ihre Solidarität nicht dir gehört, sondern einem fremden Auftrag. Sie sehen nur so aus wie Menschen. In Wirklichkeit sind es Aliens." Ihr einziges Ziel ist die Erhaltung der Verfügungsgewalt als herrschende Gruppe, ihr Programm die Aneignung fremder Natur und Arbeit. Nach Spehr ist das Kolonisationsmodell der Aliens für alle modernen gesellschaftlichen Ordnungssysteme zwischen Kapitalismus und Sozialismus dasselbe, und er beschreibt sie als neue internationale Klasse, die ein Herrschaftsprojekt vorantreibt und diese Herrschaft in demokratischen Systemen durch so genannte Zivilisten etabliert. Die Zivilisten sind im Wesentlichen durch Bequemlichkeit gesteuert und definiert als "jemand, der keine Ahnung hat, sich für Zusammenhänge nicht interessiert, kein Problem damit hat, dass Entscheidungen von anderen getroffen werden, und der auch nicht die nötigen Fähigkeiten besitzt, um einzugreifen". Im Gegensatz zur Herrschaft der Aliens stehen die "Rebellen" und der "Maquis". Die Rebellen, global informierte Postmoderne Kollektive, kämpfen gegen das Imperium, sind aber nicht unbedingt emanzipatorisch und suchen nicht nach einer alternativen Logik sozialer Beziehungen.
Die Zone des Maquis hingegen folgt nicht dem Prinzip von Profit und Bequemlichkeit, sondern ihre soziale Kooperation gründet sich auf eine immer weiter gehende Befreiung von Herrschaft und Fremdbestimmung. Die mediale Praxis des Maquis durchkreuzt die alienistische Kontrolle über die Öffentlichkeit, ihre Räume und Medien und bezieht sich auf Formen von Networking und Bewusstseinsbildung und die Förderung direkter, komplexer Strukturen, welche die existentielle Abhängigkeit von fremder Interpretation und Wertschätzung und damit die eigene Erpressbarkeit verringert. Der Schlusssatz des Buches drückt es folgendermaßen aus: "Es ist die Sache des Maquis, den postmodernen Kollektiven die Fähigkeit zu geben, an, wie Fox Mulder es nennt, ‘extreme Möglichkeiten’ zu glauben. Zum Beispiel an eine Welt ohne Aliens."
Im Thesenpapier "A Virtual World is Possible" skizzieren Geert Lovink und Florian Schneider Phasen der globalen Bewegung "From Tactical Media to Digital Multitudes". Sie beschreiben zunächst die 90er als eine Blütezeit der Tactical Media: Emanzipatorische Strömungen und billig erhältliches do-it-yourself Equipment ermöglichten eigene digitale Ausdrucksformen, und es entwickelte sich eine Ära vielfältiger und selbstbewusster Experimente und Allianzen zwischen Kunst, Aktivismus und Populärkultur. In der Zeit von 1999 bis 01, der Periode der "Grossen Mobilisierungen" stellte die weltweite Konvergenz organisierter Unzufriedenheit gegen Neoliberalismus und Ausbeutung einer hierarchischen Globalisierung "von oben" eine neue Form der Globalisierung "von unten" entgegen. Obwohl sich diese Neuen Bewegungen vornehmlich im etwas überkommenen Medium des Straßenprotests ausdrückten, so waren doch der Aufbau und die Einbindung in ein Netzwerk taktischer Medien die Voraussetzung dazu. Diese souveräne Nutzung von Medien ist inzwischen zur Voraussetzung selbstbestimmter Organisation in vernetzten Milieus geworden. Diese neuen Kooperationsformen ohne hierarchisch-monolithische Strukturen mit einer Vielfalt von Themen und Identitäten stellt eine bedeutende Entwicklung dar. In der akademisierten Welt linker Theoriebildung sind die Unmittelbarkeit des Alltäglichen und die Formen neuer Subjektivität dramatisch verloren gegangen, aber die staatlich unterstützte Privatisierung der Welt in den Händen unangreifbarer Firmengeflechte betrifft jeden, und der Widerstand muss daher nicht ideologisch oder altruistisch begründet werden. Die strukturelle Gewalt im demokratischen High-Tech-Kapitalismus richtet sich nicht nur gegen jene, die von diesem High-Tech-Produktionszyklus ausgeschlossen sind, also gegen einen Großteil der Menschheit, sondern auch gegen jene, die im informatisierten Wettbewerbszyklus eingeschlossen sind und einem wachsenden psychischen Druck und einer zunehmenden Verarmung ihrer Lebenswelt ausgesetzt sind.
Für die Gegenwart sehen Lovink und Schneider als eine der wesentlichsten Herausforderungen die Gefahr der moralisierenden Selbstmarginalisierung. Sowohl die "realen" als auch die "virtuellen" Proteste sind in Gefahr, auf dem Niveau des globalen "Demo Design" steckenzubleiben und sich von den realen Umständen zu entfernen. Das aber würde bedeuten, dass die Entwicklung über "Beta" nie hinausgeht. Straßendemonstrationen erhöhen das Gemeinschaftsgefühl, aber die Frage muss sein, was kommt danach… sowohl für die neuen Medien als auch die neuen sozialen Bewegungen. Statt einer "Versöhnung" zwischen dem Realen und Virtuellen fordern Lovink und Schneider die rigorose Einbindung von sozialen Bewegungen in die Technologie und die Notwendigkeit der Implementierung von Strategien, Interfaces und Standards.
Es erscheint daher notwendig, Rahmenbedingungen zur Sicherung des digitalen öffentlichen Raum zu erkämpfen, mittels Cultural Intelligence das Bewusstsein im Hinblick auf Konfliktpunkte zu vergrößern und die Basis des Verständnisses für eine breite Diskussion der politischen und kulturellen Zusammenhänge von Informations- und Kommunikationstechnologie zu verbreitern. Als wesentliche Merkmale entwickeln sich dabei die Konzepte von Offenheit und Freiheit, wie sie sich in der Dialektik von Open Source Software, "Open Knowledge", Peer-2-Peer und Digital Commons ausdrücken. Dieser Begriff von Freiheit ist allerdings kein Zugeständnis an neoliberale Ideologie, sondern bezieht sich auf die Demokratisierung der Zugangsregeln, der Entscheidungsfindung und der Verteilung von Wissen und Wohlstand. Trotz der Kompromittierung der elektronischen Medien durch Profithaie und Kontrollfreaks ist der Ausgang mancher Schlachten noch offen. Nicht zu unrecht wurde Napster als das Vietnam der Musikindustrie bezeichnet… Elektronische Informationsnetze sind daher nach wie vor die Hoffnungsträger einer emanzipatorischen Wissensgesellschaft und einer Cultural Intelligence für die Multitudes.
Konrad Becker ist Leiter der Wiener Netzkulturinstitution Public Netbase t0.