Die anwesende Autorin
Lilo Nein (Hg.): Die anwesende Autorin. Wer spricht in der Performance? Berlin: Revolver 2011
Nach dem 2009 erschienenen Band „Selbst Übersetzen. Performance Lesebuch zum Aufführen“ legt Lilo Nein mit ihrem in deutscher und englischer Sprache erschienenen Buch „Die anwesende Autorin. Wer spricht in der Performance?“ eine weitere Spur zu der für die Autorin, Künstlerin und Performerin wichtigen Fragestellung zeitgenössischer Performance-Kunst: Machtverhältnisse und ihre Reproduktion in einer massiv amorphisierenden Kunstsparte, die von rigiden Individualisierungskämpfen, einer radikalen Infragestellung von Autor_innenschaft und einer Sehnsucht nach Formen kritischer Kollektivität geprägt ist. Wie schon mit dem Buch „Selbst Übersetzen“ versucht Lilo Nein die Performance/Performativität der Texte ins Augenmerk der Leser_innen zu rücken. Wie wird das Buch erst durch das Lesen hergestellt, das den Performance-Charakter durch die zwischen die Beiträge gesetzten Blacks – quasi als theatraler Vorhang, der zwischen den Acts sich öffnet und verschließt – verstärkt? Dem Buch beigelegt ist ein Heft, das den programmatischen Text Performing Authorship von Lilo Nein enthält, der das Theoriegebäude für das weitere performative Lesen des Buches vor einem_r entstehen lässt. Mit unter anderen Barthes, Butler und Rancière erstreckt sich der Text vom vielfach angesagten Tod des Autors, der Performativität von Sprache zur Frage des_r emanzipierten Zuschauer_in.
Die Beiträge von Carola Dertnig, deufert+plischke, des Performancekollektivs Busy Rocks, von Jakob Lena Knebel, Ivo Dimchev, Ligna, Alex Martinis Roe, der Formation Questions, Simone Forti, Isabelle Schad, everybodys, Christian Falsnaes, Christine Lemke gemeinsam mit Stefanie Seibold und Jérôme Bel spannen einen Bogen von queer-feministischer Kritik an Autor_innenschaft, verschiedenen Formen und Ausmaßen von Kollektivität, methodischen Skizzen und Notationen, politisch-strategischen Zusammenschlüssen bis zu geteilter Autor_innenschaft zwischen Performer_innen und Publikum. Die Ansätze der schreibenden Performer_innen, sich mit einer Vertextlichung ihrer Arbeit zu beschäftigen, sind vielfältig und tragen leider nicht zu einer Stringenz der Veröffentlichung bei. Zum einen ist die Übersetzungsarbeit von Performance-Praxen in Text kein einfaches Unterfangen. Zum anderen fehlt es manchen Positionen leider an kritischem Selbstverständnis, um die Involviertheit in das Machtverhältnis Performance – Autor_innenschaft – Publikum zu analysieren.
Eine Ausnahme bildet interessanterweise der fast wortlose Beitrag von Jakob Lena Knebl, der mit der Bildserie ich bin die anderen die Manipulation des Körpers – im konkreten Fall des Gesichtes, das durch große Männerhände zu Fratzen geformt, verformt wird – aus den eigenen Händen gibt. Die Portrait-Bilder, die sehr genau das Zentrum der Performance markieren, lassen trotzdem die performative Sprecher_innenposition offen, es entsteht eine Spannung zwischen der_dem Autor_in und der_dem Blickenden. Im Verhältnis performativen Schreibens und performativen Lesens ergibt sich jedoch die eigentliche Schwierigkeit des restlichen Buches. Die Beiträge bleiben mehrheitlich Beschreibungen von Praxen, die das Buch über das Format einer Textpublikation nicht hinaus wachsen lassen; Texte, die dann zum Großteil zwischen einer versuchten Performativität und Analyse oszillieren. Dies gewährt zwar für weniger in künstlerische Prozesse Eingebundene Einsichten in zeitgenössische, künstlerische Praxen, für Kenner_innen des Tanz- und Performance-Kontextes bietet das wunderschöne Buch jedoch zu wenig kritische Auseinandersetzung – auch der ökonomischen Voraussetzungen im Feld.
Lilo Nein (Hg.): Die anwesende Autorin. Wer spricht in der Performance? Berlin: Revolver 2011