Die Emanzipation der Monster
Eines der größten Probleme, denen sich transidente Personen ausgesetzt sehen, ist die Naturalisierung der Welt. Naturalisierung passiert, wenn wir aufgrund unserer kulturellen Vorstellungen etwas, wie bspw. Heterosexualität, als natürlich betrachten, unabhängig davon, wie die Fakten sind. Demnach ist Homosexualität widernatürlich, da diese in der Natur nicht vorkäme. Es hat lange gedauert, bis es WissenschaftlerInnen möglich war, dieses Argument mit Fakten zu widerlegen.
Eines der größten Probleme, denen sich transidente Personen (z. B. Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle) ausgesetzt sehen, ist die Naturalisierung der Welt. Naturalisierung passiert, wenn wir aufgrund unserer kulturellen Vorstellungen etwas, wie bspw. Heterosexualität, als natürlich betrachten, unabhängig davon, wie die Fakten sind. Demnach ist Homosexualität widernatürlich, da diese in der Natur nicht vorkäme. Es hat lange gedauert, bis es WissenschaftlerInnen möglich war, dieses Argument mit Fakten zu widerlegen (siehe Bagemihl 1999).
Für transidente Personen relevant ist die Idee der Binarität, wonach Menschen nur eines von zwei möglichen Geschlechtern haben können. Dies hat v. a. bei Intersexuellen („Hermaphroditen“) zu viel unnötigem Leid geführt, da diese offensichtlich nicht-binären Körper ohne Zustimmung der Betroffenen operativ normalisiert („naturalisiert“) wurden. Dieses Problem einer naturalisierten Binarität gekoppelt mit der Annahme einer angemessenen „natürlichen“ Geschlechtsrolle kommt auch bei Transsexuellen zum Greifen. Unter dem Aspekt der Naturalisierung ist es nicht möglich, eine weibliche Geschlechtsrolle in einem männlichen Körper (und vice versa) auszuleben. Daher müssen auch diese Personen operativ angepasst werden, um die „natürliche“ Norm aufrechtzuerhalten. Hier zeigt sich an der Kastrations- bzw. Sterilisationsforderung der Gesetzgeber die Angst vor hybriden, also monströsen, „unnatürlichen“ Körpern.
Diese zwanghafte Normalisierung entlang eines menschlich konstruierten, westlichen Naturbegriffs ist schon allein deshalb problematisch, weil er den weißen, gesunden, heterosexuellen Mann als Krone der Schöpfung positioniert und damit alle Lebewesen, die diesem Schema nicht entsprechen, abwertet und de-humanisiert. Dies provoziert geradezu feministischen, queeren und antirassistischen Widerstand.
Im Zweifelsfalle krank
Dies geschieht auf vielerlei Weise, wobei ich mich hier auf die Interventionen transidenter Personen konzentrieren möchte. Dieser Bereich ist seit seiner Entstehung von vielfältigen Veränderungen geprägt gewesen. Der medizinische Fortschritt in der westlichen Welt hat eine unerwartete Patient_innenschaft hervorgebracht, Männer und Frauen, die den übermächtigen Wunsch hatten, ihr Geschlecht zu wechseln und in weiterer Folge als Transsexuelle bezeichnet wurden. Obwohl sich Transsexuelle meist sowohl geistig als auch körperlich bei bester Gesundheit befinden, wurden sie im binären Sinne als geistig krank klassifiziert und dadurch zu Objekten der Medizin.
Zu der Bezeichnung Transsexuelle gesellte sich bald der Begriff Transgender für Personen, die – ähnlich Transsexuellen – ihr Geschlecht verlassen, sich dazu jedoch nicht zwingend den medizinischen Möglichkeiten und Forderungen unterwerfen wollen. Die Grenzen zwischen Transsexuellen und Transgendern sind oft fließend. Der Sammelbegriff Transgender beinhaltete bald eine verwirrende Vielfalt an Personen und wird mittlerweile immer öfter durch den Begriff queer (Menschen, die nicht in das heteronormative, geschlechterbinäre, heterosexuelle Modell fallen und sich oft auch von angepassten Mainstream-les-bi-schwul-trans-Gemeinschaften distanzieren) ersetzt.
Das transsexuelle Objekt und posttranssexuelle Monster
Gerade im Zuge der Diskussionen um Transsexualität wurde queer in seiner Unangepasstheit wichtig, um die Emanzipation transidenter Personen voranzutreiben. Obwohl Transsexuelle der ersten Stunde ihre Forderungen ÄrztInnen gegenüber entschlossen artikuliert hatten, waren sie in weiterer Folge zu reinen Objekten des – vorwiegend medizinischen – Diskurses geworden. Erst aggressive feministische Kritik änderte dies. Einige Feministinnen (besonders berüchtigt Janice Raymond) warfen Transsexuellen vor, mit ihrem angepassten Verhalten und ihrem dementsprechenden Streben nach akzeptierter Weiblichkeit bzw. Männlichkeit, heteronormative Machtstrukturen zu stärken. Diese Kritik war in vielerlei Hinsicht berechtigt, wurde aber leider auf unentschuldbar transphobe Art und Weise vorgebracht.
Trans-Frau Sandy Stone (die von Raymond namentlich verhetzt worden war) war es schließlich, die als Erste queere Belange von Transsexuellen in ihrem Posttranssexuellen Manifest in Worte fasste. Sie rief Transsexuelle auf, sich aus ihrer passiven Objekt-Position zu erheben und als Subjekte auf den Diskurs Einfluss zu nehmen – posttranssexuell zu werden. Sie stellte auch zum ersten Mal eine positive Verbindung zwischen Transsexuellen und Monstern her, indem sie die „Unstimmigkeiten“, die von transsexuellen Identitäten, Körpern und Bedürfnissen ausgelöst werden, mit Donna Haraways Promises of Monsters assoziierte. Stone initiierte damit die Transgender Studien, die mittlerweile von einem ständig wachsenden Kreis transidenter und queerer AktivistInnen, AkademikerInnen und KünstlerInnen bereichert werden. So auch von der Historikerin Susan Stryker, die mit My Words to Victor Frankenstein an Stones Manifest anschloss, indem sie die Stimme des Monsters zu ihrer eigenen machte, um ihrer „queeren Wut“, ihrem „transgender Zorn“ (2006: 253) über die Unmöglichkeit einer queeren Existenz innerhalb der Grenzen einer naturalisierten menschlichen Welt Ausdruck zu verleihen.
Monster als Machtposition und monströse queere Kunst
Nachdem transidente Personen immer wieder als Monster und Freaks beschimpft und verfolgt worden waren, drehten einige den Spieß nun um, indem sie die bedrohliche Identität des Monsters bewusst annahmen, um transphobe und heteronormative Grenzen und Vorurteile aufzuzeigen und zu sprengen. Besonders betont wurde dabei der kämpferische Aspekt (transgender warriors). Die Hybridität der Monster (weder Mensch noch Tier, weder Mann noch Frau) scheint Transsexuellen wie auf den Leib geschrieben. Das Potenzial der Monster beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Körperliche. Das Normale jederzeit zu Fall bringen zu können, die Fähigkeit, Grenzen einzureißen und Veränderungen herbeizuführen, ist es, was Monster im queeren Sinne besonders auszeichnet.
Gerade transidente, queere Künstler_innen verkörpern immer wieder Monster, um die gewalttätigen Grenzen des naturalisierten, heteronormativen Weltbildes aufzuzeigen. So bspw. der Maler und Filmemacher Hans Scheirl, dessen überbordender Film Dandy Dust (1998; mit Scheirl in der Titelrolle) die Zuseher mit einer Vielzahl an Wesen und Kreaturen konfrontierte, die freiwillig und unfreiwillig unzählige körperliche, gesellschaftliche und sexuelle Ein- und Übergriffe erlebten. Dem Wiener Publikum wird weiters Jakob Lena Knebl’s Verkörperung der Monströsen Ballerina im Museumsquartier (2009) in Erinnerung geblieben sein, die nur eine von vielen Arbeiten zur gewalttätigen Normierung queerer Körper ist. Die fotografischen Arbeiten des „Gelegenheits-Gender-Terroristen“ und genderqueeren Aktivisten und Künstlers Del LaGrace Volcano, die queeres Leben und queere Körper portraitieren, zeigen dagegen immer wieder die Würde und Faszination queerer Menschen und vermitteln gleichzeitig, wie obsolet Geschlechtergrenzen bereits sein können.
Interventionen als ein Biest und ein Elf – eine transsexuelle Geschichte
Das Faszinierende daran ist, dass diese queere Aneignung der Figur des Monsters immer wieder isoliert von den beschriebenen Entwicklungen geschieht. Hier darf ich als Beispiel meine eigene Geschichte anführen. Als ich mit etwa zehn Jahren auf meine Transidentität aufmerksam wurde, war ich vollkommen unvorbereitet, da ich noch nie mit transgender oder queer in Berührung gekommen war. Erst fünf Jahre später, nachdem ich schon länger eine maskuline Identität lebte, begegnete mir erstmals die medizinische Definition von Transsexualität.
Ich verkörperte damals neben meiner maskulinen bereits auch meine monströse Identität, indem ich mit einem Fellkostüm bekleidet als Biest durch den Wald streifte. Dieses Biest war meine Zuflucht vor dem binären Dilemma, in dem ich mich weder als Mann noch als Frau positionieren konnte. Transsexuelle befinden sich in einer verwundbaren Position, da sie zusammen mit ihrem biologischen Geschlecht ihr Recht auf menschliche Privilegien aufgeben. Selbst ein erfolgreicher Geschlechtswechsel inklusive plausibler Vergangenheit bietet keinen sicheren Schutz, wie man an den unzähligen Hass-Verbrechen und Diskriminierungen gegen Transsexuelle unschwer nachvollziehen kann. Anstatt jedoch die Rolle eines potenziellen Opfers und minderwertigen Wesens anzunehmen, schuf ich mir mit meinem Biest ein mächtiges Alter Ego, das weder von menschlichen Regeln noch von menschlicher Körperlichkeit bestimmt wurde. In etwa dem gleichen Maße, in dem ich meine transsexuellen Ziele körperlicher Veränderung verfolgte, vertiefte ich mich künstlerisch in die Figur des Monsters.
Zum Biest gesellte sich postoperativ der Elf. Dieser Elf ist ebenso ein Monster wie das Biest. Die Figur des Elfs ist jedoch ein „schönes“ Monster und erscheint auf den ersten Blick wie ein begehrenswerter nackter Jüngling oder Androgyn, um sich bei näherer Betrachtung als monströser Körper (eben als Mann-Frau-Hybrid) zu entpuppen. Damit verweist die Figur des Elfs auf die Erotisierung und Fetischisierung hybrider Körper (nachvollziehbar am boomenden Geschäft mit Tranny Porn). Der tote Hahn, den der Elf in einer Bilderserie in den Händen hält, ist eine mehrfache Metapher. Er symbolisiert einerseits die Abscheu und Ablehnung, die queeren, monströsen Körper oftmals entgegenschlägt. Andererseits distanziert er den Elf weiter vom Glauben an die menschliche Überlegenheit über die Natur. Für den Elf ist die Natur weder ein christliches Paradies noch ein Darwinistisches Schlachtfeld. Das Biest und der Elf erlauben mir schlicht, menschliche Normen in Frage zu stellen und meine positive queere Identität und Körperlichkeit zu reflektieren.
Das begleitende theoretische Gerüst inklusive der Begriffe und der Bedeutung von Queer erarbeitete ich mir allerdings erst viel später bei der Recherche zu meiner Doktorarbeit. Ich erfuhr von den historischen Fakten und fand die monströsen Parallelen in den Arbeiten anderer Künstler_innen, Akademiker_innen und Aktivist_innen. Die starke Präsenz von Monstern war dabei weniger überraschend als vielmehr eine Bestätigung, denn wie Judith Jack Halberstam es so treffend ausdrückte: „Monstrosität ist beinahe eine queere Kategorie“ (1995:27).
Hoffnung auf eine monströse Zukunft
Die Figur des Monsters bietet im Endeffekt die Möglichkeit, sich mit etwas zu identifizieren, das über die limitierten Kategorien von Geschlecht, Sex und Gender hinausgeht. Ich halte sowohl Queer als auch Transidentität und Monster für entscheidende Schritte auf dem Weg in eine Zukunft, in der Identität (und damit auch Körper und Sexualität) ein Maß an Individualismus erreichen kann, das wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können.
Frauen und Männer sind fixe Kategorien, ebenso wie Hetero- und Homosexualität. Queer und Monster sind offene Kategorien, die ständigen Veränderungen unterliegen und sich durch ihre Offenheit und Wandlungsfähigkeit auszeichnen. Das macht sie für transidente Personen so anziehend. Die Aneignung der Bezeichnung Monster dient, ähnlich wie die Aneignung des Schmähbegriffs Queer, der Ermächtigung und Emanzipation jener Personen, die vormals damit diffamiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Durch die Emanzipierung der Monster kann die Diversität der Gesellschaft vorangetrieben, die Kategorie Mensch in ihrer Exklusivität aufgebrochen und ihr Herrschaftsanspruch untergraben werden.
Literatur
Bagemihl, Bruce (1999): Biological Exuberance: Animal Homosexuality and Natural
Diversity. New York: St. Martin’s Press.
Halberstam, Judith (1995): Skin Shows: Gothic Horror and the Technology of Monsters. Durham: Duke University Press.
Haraway, Donna (1992): „The Promises of Monsters: A Regenerative Politics for Inappropriate/D Others“. In: Paula A. Treichler / Cary Nelson / Larry Grossberg (Hg.): Cultural Studies. New York: Routledge, S. 295-337.
Raymond, Janice G. (2006): „Sappho By Surgery: The Transsexually Constructed Lesbian-Feminist“. In: Stryker, Susan / Stephen Whittle (Hg.): The Transgender Studies Reader. New York: Routledge, S. 131-143.
Stone, Sandy (2006): „The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto. The Transgender Studies Reader“. In: Stryker, Susan / Stephen Whittle (Hg.): The Transgender Studies Reader. New York: Routledge, S. 221-235.
Stryker, Susan (2008): Transgender Hiistory. Berkeley: Seal Press.
Stryker, Susan (2006): „My Words to Victor Frankenstein above the Village of Chamounix: Performing Transgender Rage“. In: Stryker, Susan / Stephen Whittle (Hg.): The Transgender Studies Reader. New York: Routledge, S. 244-256.
Stryker, Susan / Stephen Whittle (2006): The Transgender Studies Reader. New York: Routledge.
Links
Jakob Lena Knebl
Hans Scheirl
Del LaGrace Volcano
Anthony Clair Wagner
schreibt an seiner Doktorarbeit an der Akademie für bildende Kunst in Wien und arbeitet als Künstler und Nanny.