Genie, Kunst & Identität. Lebensentwürfe und Strategien bildender Künstlerinnen

Wie als Künstlerin in einer Gesellschaft leben und arbeiten, die nach wie vor – vielfach nicht ausgesprochen und unbewusst, dafür aber umso so wirksamer – von einem männlich konnotierten Künstler-Genie-Bild ausgeht?

Nicht alle denken so wie Florentina Pakosta, eine von sieben österreichischen Künstlerinnen, die die Wiener Kulturpsychologin und Kulturtheoretikerin Michi Ebner interviewt hat. Aber auch Barbara G. Wochner steht dem „Genie-Begriff“ äußerst kritisch gegenüber und „lehnt ihn als ‚männlich konnotiert‘, verknüpft mit Aspekten des Naturgegebenen“ ab. Für Frauen würde sie (Wochner) „Genie“ eher provokativ verwenden, da der Begriff generell „obsolet sein sollte“ (137).

Im Zentrum des Bandes von Michi Ebner stehen der die Kunstdiskussion der Moderne prägende „Genie“-Diskurs und die Auswirkungen des männlich konnotierten Konstrukts „Künstler-Genie“ auf die Identitäts- und Lebensentwürfe von Künstlerinnen. Die Autorin stellt Fragen, die den feministischen Kunstdiskurs der letzten Jahrzehnte vielfach beschäftigt haben: Wie als Künstlerin in einer Gesellschaft leben und arbeiten, die nach wie vor – vielfach nicht ausgesprochen und unbewusst, dafür aber umso so wirksamer – von einem männlich konnotierten Künstler-Genie-Bild ausgeht? Ebner rückt die Künstlerinnen als Akteurinnen ins Zentrum, fragt nach dem Wie der Gestaltungsformen ihrer künstlerischen Selbstverständnisse/Identitäten und operiert mit einem überaus heterogenen und aussagekräftigen Quellenkorpus: Als Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit – Interviews mit KünstlerInnen – analysiert sie „die Konstruktion des ,Künstler-Genies‘ als Ausschlussverfahren“ wie auch die Widersprüche zwischen den Konzepten von „Geschlecht“ und „Künstler-Genie“ resp. „Künstler-Subjekt“. Im empirischen Hauptteil beschreibt Ebner alles, was zum Leben und Arbeiten einer Künstlerin gehört. Ebner gestaltet Künstlerinnen-Portraits, beschreibt deren Ausbildungssituation (und historisiert diese) wie auch die soziale Lage von  Künstlerinnen und dekonstruiert die lebensgeschichtlichen Interviews mit den Künstlerinnen.
Dadurch schafft sie eine anregende Verbindung von kulturwissenschaftlicher Literatur-Diskussion des Genie- und Identitätsdiskurses mit einer Reflexion von Lebens- und künstlerischen Strategieentwürfen von Künstlerinnen, wobei die Autorin – riskanterweise – eine inhaltliche Analyse der Kunst vornimmt, die Ebner zwar angreifbarer als herkömmliche sozialwissenschaftliche Studien macht, gleichwohl aber der vorliegenden Untersuchung eine Anschaulichkeit verleiht, die streng sozialwissenschaftlich ausgerichteten Arbeiten oft fehlt. Die Autorin ging weiters ein nicht geringes Risiko mit ihrer Titelwahl „Genie, Identität und Kunst“ ein, weil es ein eigentlich zu großer und zu viel versprechender Titel ist. Erfreulich ist, wenn festgestellt werden kann, dass die Autorin diese Herausforderung souverän meistert. Durch die überzeugende Dekonstruktion von Interviewpassagen gelingt es ihr, im Kunstfeld wirkende – unausgesprochene – Gender-Strukturen sichtbar zu machen. Geschlechtsidentität allgemein und künstlerische Identität lassen sich für viele der befragten Künstlerinnen nur schwer vereinbaren, erkennbar werden deutliche Widersprüche zwischen dem Konzept von „Geschlecht“ und dem Konzept „Künstler-Genie“ bzw. „Künstler-Subjekt“. Diese Widersprüche basieren auf dem sehr langen Ausschluss des weiblichen Geschlechts aus der Institution Kunst(-ausbildung) und damit aus einer akademisch und institutionell abgesicherten Kunst (-produktion) einerseits und auf dem gesellschaftlich nach wie vor stark wirksamen, männlich konnotierten Konstrukt „Künstler-Genie“ andererseits.

Michi Ebner trägt mit ihrer Arbeit über „Genie, Kunst & Identität. Lebensentwürfe und Strategien bildender Künstlerinnen“ zu einer genderpolitisch vielgestaltigen Geschichtsschreibung und Dokumentation des gesellschaftlich lange verhinderten Kunstwollens und Kunstausdrucks von Künstlerinnen verdienstvoll bei. Eine Empfehlung!

 

Michi Ebner: Genie, Kunst & Identität. Lebensentwürfe und Strategien bildender Künstlerinnen. Frankfurt/M., Berlin, Bern et al: Peter Lang 2010