At the Grassroots

Die meisten der Zine-Herausgeberinnen verwenden das Internet, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und Informationen über ihre Medien bereitzustellen; aber es ist vor allem die Interaktivität und die Kommentarfunktion, die Blogs immer beliebter machen, wie etwa das vorwiegend von jungen Feministinnen geschriebene The F-Word (England).

„Feminismus ist passé? We don’t think so.“ (Missy Magazine)

„Wir alle wollten schon immer Pippi (Langstrumpf) sein, doch alles was wir waren, war Annika ... (Dieses Zine) soll unser Forum sein, ein Ort, an dem wir Annikas all das sagen können, das normalerweise unausgesprochen bleibt ... Annikafish wird vermutlich wie eine Art erweitertes Tagebuch werden, in dem wir unsere Überlegungen und Diskussionen niederschreiben ... Wir wollen aber nicht nur unsere Anliegen propagieren, sondern versuchen, die Probleme mit einer generelleren Sicht auf die Gesellschaft zu unterlegen ... Natürlich haben wir einen feministischen Anspruch ... Das Zine soll ein offener Ort für alle sein, die sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, die sich nicht damit zufriedengeben, was uns seit Jahrtausenden immer wieder gesagt wird.“ (Manifest in Annikafish #1, Wien 1999)

Annikafish, das kleine, kopierte Zine (als Kurzform von „Magazin“) mit rosarotem Einband wurde vor zehn Jahren von zwei jungen Frauen in Wien herausgegeben und steht in der langen Tradition feministischer Alternativmedien. Ohne Zweifel sind Mädchen und Frauen als Subjekte in den Mainstream-Medien noch immer marginalisiert und missrepräsentiert, sowohl auf der Inhalts- wie der Produktionsebene. Wenn wir alternative Orte der Medienproduktion als Ausgangspunkt für unsere Überlegungen für die Partizipation von Frauen an der Medienproduktion nehmen, zeigt sich ein anderes Bild: Frauen spielen seit langem eine vitale Rolle in der Schaffung von neuen Kommunikationsalternativen in den feministischen Bewegungen. Seit dem Beginn der Frauenbewegungen haben Feministinnen selbstpublizierten Zeitschriften, Pamphlete und Flyer publiziert (vgl. Steiner 1992), um ihre Standpunkte mit selbstdefinierten Bildern, Inhalten und Netzwerken zu artikulieren. Zines werden heute gemeinsam mit Blogs als die populärsten Vehikel des „Third Wave Feminism“, einem Feminismus der jüngeren Generation von Frauen, gesehen. Im Gegensatz zum „postfeministischen Mythos“, der den Feminismus als überholt, überkommen und somit als überflüssig versteht, dokumentieren viele Zines, Blogs und andere partizipative Medien den Weg zur feministischen Bewusstseinsbildung.

Heute ist eine der damaligen Zine-Herausgeberinnen von Annikafish, Sonja Eismann, Mitherausgeberin von Missy Magazine, einem vierfärbigen, im deutschsprachigen Raum vertriebenem Magazin mit Fokus auf „Popkultur und Frauen“. Inzwischen schon viermal erschienen ist das Magazin, ähnlich wie die US-amerikanischen Pendants Bust, Bitch Magazine und Venus Zine, ein Beispiel dafür, wie aus einem kleinen, selbst kopierten Zine ein professionell produziertes und vertriebenes Magazin entstehen kann, und es zeigt, dass feministische Magazine eine große Bandbreite umfassen können – von Zines als eine „Art erweiterte Tagebücher“ (Annikafish) über Medien im außeruniversitären Bereich ([sic!]) bis hin zu tendenziell kommerziellen Magazinen mit einem Schwerpunkt auf Popularkultur wie dem Missy Magazine. Dass solche Projekte in Zeiten prekärer Arbeitsbedingungen und Gewinnschöpfung eine große Herausforderung darstellen, ist klar.

At the grassroots: Feministische Medienproduktion in Europa

Das Grundprinzip alternativer Medien ist Partizipation: Jede/r Leser_in kann selbst Produzent_in werden und potenziell alle Aufgabenbereiche von der Produktion bis zum Vertrieb einnehmen, denn im Mittelpunkt steht weniger der Erfolg in Hinblick auf die Anzahl der Leserinnen als vielmehr die Pluralität in der Artikulation von heterogenen Sichtweisen und Perspektiven in einer Vielzahl von Medienformaten. Inspiriert vom DIY-Ethos des Punk und der Frauenbewegungen produzieren Mädchen und junge Frauen in Europa heterogene Medien hinsichtlich Inhalt und Format – von Zines und Blogs über Radio und Community TV bis zu Film, Video, Fotografie und Guerrilla Art –, um ihre Anliegen, Interessen und Visionen auszudrücken. Wenngleich die Gründe für die Medienproduktionen vielschichtig wie heterogen sind, sind Austausch, Dialog und Vernetzung unter Gleichgesinnten zentrale Motivationen.

Weitere Beispiele für feministische Zines sind u. a. Plotki Femzine, ein zentraleuropäisches Projekt; Morgenmuffel, ein aktivistisches Comic Zine (England); Race Revolt, das „Race“ in feministischen, queer und DIY Communities diskutiert (England); Friends of Polly, ein Zine über Polyamorie aus queer-feministischer Perspektive (England); sowie Clit Rocket (Italien), loveKills (Rumänien) oder Bunnies on Strike (Niederlande). Beim Blick auf diese Medien beginnen die Grenzen zwischen (selbstproduziertem) „Zine“ und „Magazin“ (mit regelmässiger Erscheinungsweise und entsprechendem Vertrieb) zu verschwimmen. Manche Medienproduzentinnen bevorzugen den Begriff „Magazin“ wie etwa das anaracha-feministischen Rag (Irland), fiber (Wien), Lash Back Magazine (Irland) oder FETT (Norwegen). Vertrieben werden die feministischen Medien über eigenständige Vertriebskanäle, so genannte Distros wie z. B. Manifesta Distro (England), die zusätzlich zu den Zines auch Buttons, Flyers, Bücher und „Handgemachtes“ zum Kauf anbieten.

Die meisten der Zine-Herausgeberinnen verwenden das Internet, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und Informationen über ihre Medien bereitzustellen; aber es ist vor allem die Interaktivität und die Kommentarfunktion, die Blogs immer beliebter machen, wie etwa das vorwiegend von jungen Feministinnen geschriebene The F-Word (England). Der Blog ist eine offene Einladung an alle, zu definieren, was Feminismus für sie heute bedeutet und wie er gelebt werden kann: „Feminism in the UK today is whatever we make it.“ Ein ähnliches feministisches Gemeinschaftsprojekt ist der Mädchenblog, der (queer-)feministische Theorien und Praxen in zugänglicher Sprache diskutiert.

In den letzten Jahren haben sich einige queer-feministische Communities und Online TV Projekte hervorgetan, wie das lokale Fernsehmagazin an.schläge tv, „das feministische Perspektiven jenseits vom Malestream nun auch im Fernsehen“ – neben der bereits seit 25 Jahren bestehenden Zeitschrift – präsentiert, oder auch Hallon TV in Stockholm. Die 28-jährige Bitte Anderssen ist ein gutes Beispiel, wie eine Vielzahl an Aktivitäten kombiniert wird. Sie ist Illustratorin, Comics- und alternative TV-Produzentin, Betreiberin einer queer-feministischen Buchhandlung und ehemalige Zine-Produzentin und Musikerin. Auch Love Kills, ein anarcha-feministisches Kollektiv in Rumänien, gibt ein Zine heraus, organisiert Info Events, Kampagnen, Demonstrationen und Aktionen sowie ein Festival mit internationaler Teilnahme. Die Mitglieder übersetzten und veröffentlichen Artikel und Bücher aus der internationalen anarchistischen Literatur – da diese in Rumänien fast gänzlich fehlt – und bauen so ein Archiv dieser Schriftstücke auf.

Solche Archive sind zentral für die Frauenbewegung. Grassroots Feminism: Transnational archives, resources and communities etwa nimmt als Ausgangspunkt, dass feministische kulturelle Praktiken und Medien als wichtige Artefakte sozialer Bewegungen dokumentiert werden sollen. User_innen können Materialien – wie Programme, pdf Versionen von Zines, Fotos und Sound Files – einsehen und selbst auf die interaktive Plattform laden. Kürzlich haben im Bereich der Musik María José Belbel (Spanien) und Rosa Reitsamer (Wien) eine Website mit dem Titel Dig Me Out herausgebracht, die als Archiv gegenwärtiger Musik und Populärkultur funktioniert. Die Website (auch als DVD erhältlich) inkludiert Text-, Bild- und Ton-Beiträge aus verschieden europäischen Ländern mit Fokus auf Spanien.

Alternative feministische Medien als partizipative mediale Identitätsräume

Alternative Medien bekommen gegenwärtig verstärkt Aufmerksamkeit und sind unter einer Vielzahl von englischen Begriffen wie z. B. Community Media, Independent Media, Citizens’ Media, Local Media oder Grassroots Media bekannt. Allgemein gesprochen bieten diese „grassroots Medien“ (basis-demokratische „Graswurzel-Medien“) oder alternativen Medien eine Plattform für all jene, die nicht in den Mainstream Medien repräsentiert oder gehört werden. Eine der größten Bedeutungen alternativer Medien liegt sicherlich in den transformierten horizontalen Kommunikationsprozessen (vgl. Atton 2002). Zwischen wem findet dieser Kommunikationsprozess im Fall feministischer Medien statt? Gesamtgesellschaftlich gesehen haben wir es mit einer kleinen, homogenen Gruppe, mit einem limitierten Publikum zu tun. Abhängig vom sozialen, kulturellen und geografischen Kontext sind dies vorwiegend weiße Mittelklassen- und gebildete junge Frauen mit Internetzugang. Wir sollten daher nicht außer Acht lassen, dass nicht alle Mädchen und jungen Frauen die Zeit, ökonomischen Ressourcen und Möglichkeiten haben, selbst in Medienproduktion involviert zu sein, und dass alternative Medien inhärent kurzlebig und ungemein heterogen sind.

In diesem Kontext ist auch auf die Konzeption von medialen Identitätsräumen und Zwischen-Räumen hinzuweisen (vgl. Hipfl 2004). Solche Räume sind in Anlehnung an die Geografin Doreen Massey von Momenten des Unerwarteten und des ständigen Gemachtwerdens gekennzeichnet und können damit zu Orten werden, an denen neue Identitätspositionen, Geschichten und Bewegungen entstehen und in ihrer Vielfalt nebeneinander stehen können. In Bezug auf feministische alternative Medien wird die traditionelle Rollenverteilung zwischen Produktion und Konsum aufgebrochen und das Publikum als aktiv und partizipativ einbezogen. Dadurch entstehen, so könnte man mit Brigitte Hipfl argumentieren, mediale Identitätsräume, die durch ihre diskursive Prozesshaftigkeit, Vielfalt und Momente des Unerwarteten gekennzeichnet sind und auch gesellschaftliches Veränderungspotenzial aufzeigen.

Ungleichheiten werden angegriffen und die Bedingungen für soziale Ungleichheiten in einer globalisierten Gesellschaft rekonstruiert. Nicht zuletzt aus dem Grund sollte das Potenzial von feministischen Medien als partizipative und prozesshafte mediale Identitätsräume öfter wahrgenommen werden – in der Forschung wie innerhalb der feministischen Bewegung. Die Bedeutung dieser Medien liegt darin, dass die Herausgeber_innen ihre Meinungen und Analysen öffentlich machen und diese innerhalb eines tendenziell nicht-kommerziellen Netzwerkes und außerhalb traditioneller Ausbildungsinstitutionen austauschen. Ausgestattet mit neuen Ideen, Fertigkeiten, Wissen, Selbstbewusstsein und Mitstreiter_innen können feministische alternative Medien die Möglichkeit bieten, einen ersten Schritt zu tun, um persönliche Erfahrungen und kritische Selbstreflexion mit aktivistischer und politischer Arbeit zu verbinden – und auch, um Momentum in die gegenwärtige Frauenbewegung zu bringen.

Literatur

Atton, Chris (2002): Alternative Media. London (Sage).
Hipfl, Brigitte (2004): „Mediale Identitätsräume. Skizzen zu einem ,spatial turn’ in der Medien- und Kommunikationswissenschaft“. In: Hipfl, Brigitte / Klaus, Elisabeth / Scheer, Uta (Hg.): Identitätsräume: Nation, Körper und Geschlecht in den Medien. Eine Topographie. Bielefeld (transcript), S. 16-50.
Steiner, Linda (1992): „The History and Structure of Women’s Alternative Media“. In: Rakow, Lana F. (ed.): Women Making Meaning. New Feminist Directions in Communication. London and New York (Routledge), S. 121-143.

Links

an.schläge tv
Dig Me Ou (auch als CD bei den Hgs. erhältlich)
Grassroots Feminism
fiber Werkstoff für Feminismus und Popkultur
The F-Word
Hallon TV
Love Kills
Mädchenblog
Missy Magazine
[sic!] Forum für feministische GangArten

Elke Zobl ist Hertha-Firnberg Stipendiatin und leitet das FWF- Forschungsprojekt Feminist Media Production in Europe am Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.