Have the Cake and Eat It, Too. Institutionskritik als instituierende Praxis
In seiner Monumentalität ist das Haus des Volkes in Bukarest, ehemals Ceauşescu-Palast und heute rumänisches Parlament, fast schon eine phantasmatische Apotheose steingewordener institutioneller Macht. Als eines der weltgrößten Gebäude ist es Ort politischer Repräsentation und zugleich vermeintlich kritischer Kunstproduktion – beheimatet es doch seit einigen Jahren auch das Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst.
In seiner Monumentalität ist das Haus des Volkes in Bukarest, ehemals Ceauşescu-Palast und heute rumänisches Parlament, fast schon eine phantasmatische Apotheose steingewordener institutioneller Macht. Als eines der weltgrößten Gebäude ist es Ort politischer Repräsentation und zugleich vermeintlich kritischer Kunstproduktion – beheimatet es doch seit einigen Jahren auch das Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst. Diese räumliche Verschränkung, die die Einflussnahme der Politik scheinbar gar nicht mehr zu kaschieren sucht, war Anlass für das Rechercheprojekt Detective Draft von Lia und Dan Perjovschi, das die sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen dieser spezifischen institutionellen Konzentration kritisiert. Es basiert auf einem Archiv, das Lia Perjovschi seit 1985 zusammenträgt und das als Matrix einer Analyse des Kunstbetriebs in unterschiedlichen Konstellationen eingesetzt wird. Detective Draft mag als klassisches Beispiel einer Kunstproduktion dienen, die als Institutionskritik bezeichnet wird – das Center for Art Analysis, das aus dem Archiv hervorgegangen ist, lässt sich darüber hinaus aber auch als eine instituierende Praxis verstehen. Damit ist jenes Spannungsfeld angesprochen, dem sich die Ausstellung „Have the Cake and Eat It, Too. Institutionskritik als instituierende Praxis“ widmet.
Dass Institutionskritik von Beginn, bereits vor ihrer begrifflichen Fassung in erster Linie politische und gesellschaftliche Praxis bedeutet hat, ist aus ihrer Geschichte evident. So sind Institutionen wie die Universität, die Klinik oder eben das Museum aufgrund ihrer disziplinierenden Funktion vielfach als Macht-Wissens-Komplexe kritisiert worden. Die reflexive Intervention von AkteurInnen in das jeweilige Feld des eigenen Handelns war gewissermaßen die Umsetzung hegemoniekritischer wie auch postkolonialer Theorie in künstlerischen oder politischen Kontexten. Inzwischen ist die Institutionskritik selbst Teil jenes Kanons, den anzufechten sie angetreten war. Entlang ihrer kanonisierten Geschichte, die oftmals über räumliche Metaphern des Heraustretens aus oder des Hineinholens in die Institution verhandelt wird und damit immer wieder ein mögliches „Außerhalb“ imaginiert, fragt die Ausstellung nach Mechanismen der definitionsmächtigen Festlegung und ihrer Ein- und Ausschlusslogiken. Wie lassen sich heute mit diesem Wissen Protest und Kritik artikulieren, wie Formen struktureller Neuentwürfe entwickeln ohne der Idee einer Dichotomie von Innen und Außen, von Entweder Oder aufzusitzen?
Wenn die Redewendung You can’t have the cake and eat it, too eine solche Entscheidung einzufordern scheint, so soll ihr hier mit jenen Handlungsoptionen widersprochen werden, die von unterschiedlichen AkteurInnen in künstlerischen, theoretischen wie aktivistischen Zusammenhängen entworfen und umgesetzt werden. So versuchen Zanny Begg und Oliver Ressler mit der titelgebenden Frage ihres Filmes „What would it mean to win?“, den Stand der Anti-Globalisierungsbewegung auf einer makro-politischen Ebene in den Blick zu nehmen, während Martin Krenn in kollaborativ erarbeiteten und gestalteten Videointerviews den Fokus auf Initiativen an der Schnittstelle von alternativer Wissensproduktion und politischem Aktivismus, quasi auf die Mikroebene, legt. In Tactical Frivolity + Rhythms of Resistance zeigen Marcelo Expósito und Nuria Vila performative Strategien des Protests, die taktisch eingesetzt, mediale Bilder von Anti-Globalisierungsdemonstrationen unterlaufen, um ihnen neue entgegenzuhalten, die nicht Gewalt, sondern politische Artikulation in den Vordergrund stellen.
Sprache wird in dem fortlaufenden Projekt queeropedia von Persson Baumgartinger als konstitutive diskursive Institution, die gerade in Nachschlagewerken Ausdruck findet, sichtbar gemacht. In einer gemeinsam mit Bini Adamczak entwickelten Installation aus Texten und Zeichnungen wird die queeropedia für die Ausstellung (an)alphabetisiert. Ebenso unabgeschlossen, generiert die Agentur von Kobe Matthys ein Verzeichnis von Rechtsfällen, in denen Fragen geistigen Eigentums verhandelt werden. Aufgezeichnet werden die Ausformungen juristischer Institutionalisierung, die kreative Tätigkeiten einer rechtlichen Normierung unterwerfen: konkret am Beispiel des Gerichtsprozess um das Musée du Cinéma in Paris. In Form von Storyboards eines imaginären Stücks setzen sich Anna Gudmundsdottir, Tone Hansen und Marit Paasche mit der vielzitierten Sackgasse künstlerischer Institutionskritik in Zeiten des globalen Kapitalismus und der fortwährenden Kooptierung von Kritik auseinander und sich selbst in Handlung. Der Allgegenwärtigkeit einer schleichenden Ökonomisierung aller Lebensräume über den Kunstkontext hinaus widersetzt sich das Video The Electrification of Consumer Brains von Zanny Begg und Dmitry Vilensky, das auf einer Aktion des Kollektivs Chto delat? in der Dresdner Innenstadt basiert. Schließlich ist Chto delat? auch selbst mit der jüngsten Ausgabe ihrer Zeitung vertreten, die sich unter dem Titel Critique and Truth der (Un-)Möglichkeit von Kritik an Institutionen im heutigen Russland widmet.
Was die künstlerischen Positionen vereint, sind kollaborative Praxen der Analyse und Kritik, der Wissensproduktion und der Neuformierung. Sie werden in der Ausstellung in den historischen Kontext einer künstlerischen Institutionskritik gestellt, die sich nicht auf die Autonomie der Kunst zurückgezogen, sondern sich vielmehr ausdrücklich als gesellschaftspolitisch handelnd verstanden hat.
„Have the Cake and Eat It, Too. Institutionskritik als instituierende Praxis“ Kunsthalle Exnergasse 13.03.-19.04.2008
Luisa Ziaja ist Kuratorin und Kunstkritikerin und lebt in Wien.
Charlotte Martinz-Turek (1970 - 2009) war Historikerin und Kunst- und Kulturvermittlerin und lebte in Wien.
Gemeinsam haben sie die Ausstellung Have the Cake and Eat It, Too. Institutionskritik als instituierende Praxis kuratiert.