Infokörperkult. Kultur und Kommunikation als Instrumente sozialer Kontrolle

Kultur ist nicht nur der Ausdruck individueller Interessen und Orientierung, sondern sie bietet auch die Identifikation mit einem Wertesystem. In diesem Sinne hat auch die Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses zur Herstellung einer symbolische Ordnung eine lange Tradition.

Kultur ist nicht nur der Ausdruck individueller Interessen und Orientierung, sondern sie bietet auch die Identifikation mit einem Wertesystem. In diesem Sinne hat auch die Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses zur Herstellung einer symbolische Ordnung eine lange Tradition. Mündliche Überlieferungen und bildliche Darstellungen spiegeln sich als Muster früherer Gesellschaften bis in die populäre Multimedienlandschaft der Gegenwart. Künstliche Erinnerung erfolgt dabei durch virtuelle und simulierte Bilder und Orte, die als eine Art "Weltkarte" durch ihren Anschein der Objektivität immer auch als machtpolitische Instrumente dienen. Aus diesem Grunde werden gerade im Bereich kultureller Repräsentation keine Mittel gescheut, um Kontrolle auf jene Realität auszuüben, die als "allgemein gültig" vermittelt werden soll.

Von der Geschichtsschreibung bis hin zum Erziehungssystem wird die Wahrnehmung durch die Schaffung scheinbarer Objektivitäten beeinflusst, die als symbolische Ordnung dargestellt werden. "Der Unterschied zwischen Propaganda und Erziehung", schreibt Edward L. Bernays, einer der Väter der modernen Public Relations,"ist nur eine Frage des Standpunkts. Das, was wir glauben, ist Erziehung, das was wir nicht glauben, ist Propaganda".

Beispiele fiktiver kultureller Rekonstruktion finden sich bis ins Mittelalter. Insbesondere im Europa des 12. Jahrhunderts wurden Fälschungen von Genealogien, offiziellen Dokumenten und Kodizes als Instrumente einer politischen Legitimation eingesetzt. Nach konservativen Schätzungen ist zumindest die Mehrheit aller historischen Dokumente aus dieser Zeit gefälscht. Ganze Imperien könnten sich noch im nachhinein als Phantome der kulturellen Manipulation erweisen.

Autoren wie Martin Bernal haben darüber hinaus in "The Fabrication of Ancient Greece 1785-1985" deutlich gezeigt, in welchem Ausmaß kulturelle Propaganda und historische Desinformation im Werk europäischer WissenschafterInnen verankert sind. Auf Grundlage rassistischer Ideen und politischer Interessen wurden historische Fakten verzerrt, um die ideologische Vorherrschaft einer weißen, männlichen Elite zu unterstützen.

Auch im so genannten Kalten Krieg war die Frage der kulturellen Vorherrschaft von entscheidender Bedeutung. Ein Blick hinter die Kulissen der kulturellen Propagandamaschine zeigt: Mit gigantischem Aufwand wurden nicht zuletzt auch Mittel eingesetzt, um progressive und linksliberale Positionen als Brückenkopf gegen die "kommunistische Gefahr" zu unterstützen. Glaubt man den zeitgeschichtlichen Analysen, so gab es in den 50er und 60er Jahren kein relevantes linkes Kulturmagazin, das nicht von Tarnorganisationen des CIA gegründet, unterstützt oder infiltriert war. Die Behauptung des Gastgebers anlässlich der UNESCO Weltkonferenz in Havanna, dass "Kultur die Waffe des 21. Jahrhunderts" ist, scheint in diesem Licht nicht unbegründet.

Die Kontrolle über Informationen, ihre Vermittlung und Interpretation zählen zu den modernen Formen der Kriegsführung. Als virtueller Gewaltersatz in der Informationsgesellschaft wird diese Kontrolle auch durch die tiefe Durchdringung der Medienlandschaft mittels Einflussagenten wahrgenommen. Als Boom- Zeit für Intelligence Agencies kennt gerade das 20. Jahrhundert groß angelegte Operationen, um die öffentliche Meinung zu formen, den gesellschaftlichen Konsens zu schaffen und Politikentwicklung zu beeinflussen. Diese waren nicht immer nur mit staatlichen Sicherheitsinteressen, sondern verfolgten auch private und ökonomische Zwecke. Zusammen mit globalen Überwachungssystemen, Dataveillance und Information Processing sind sie mittlerweile zu einer riesigen, globalen Industrie geworden.

Unverändert befinden sich die Kommunikationstechnologien des Informationszeitalters daher im Angriff auf den Informationskörper: Der individuelle und der kollektive Infokörper erklärt sich aus der Summe seiner Interaktions- und Kommunikationsmuster, die als so genannte "elektronische Schleimspuren" digital erfasst und verwaltet werden.

Information fließt heute zu schnell, als dass die Bevölkerung in der Lage wäre, diese aufzunehmen oder zusätzliche Informationen zu erwerben, um Entscheidungen zu treffen und deren Ausgang beeinflussen zu können. Diese Situation bereitet den Boden für elektronische Kriegsführung, taktische Täuschung und psychologische Operationen. Die Entwicklungen im Bereich elektronischer Medien ermöglicht eine globale Telepräsenz von Werten und Verhaltensnormen. Möglichkeiten, die öffentliche Meinung durch schnelle, überzeugende Kommunikation zu formen, nehmen zu, der Unter-schied zwischen Information und Propaganda schwindet.

Die Anwendung von Informationstechnologie eröffnet daher eine neue Dimension politisch kultureller Kontrolle. Es besteht großes Interesse, eine informierte Meinung zu schaffen und die öffentliche Meinung als Ganzes durch ein lähmendes Netz von "Fakten" zu formen - auch ohne den Bezug zur Wirklichkeit. Die Manipulation der Wahrnehmung ruft Leitmotive hervor und erzeugt bestimmte Wirklichkeiten, die schließlich zur "Realität" schlechthin erhoben werden.

"An ill-informed person is a subject, a well-informed person is a citizen" - Das demokratiepolitische Potenzial neuer Kommunikationstechnologien ist zunehmend aus der öffentlichen Debatte verdrängt, und die Hoffnung auf emanzipatorische kulturelle Praxis scheint sich in ihr Gegenteil zu verkehren. Statt dessen zeichnet sich immer deutlicher das Potenzial von Kontrolle und Repression durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien ab.

Die Entwicklung im Bereich Neuer Medien ist insbesondere dominiert von einer dramatischen Konzentration von privaten Kapitalinteressen und mangelnder Wahrnehmung von Interessen der Öffentlichkeit. Politische Teilhabe darf nicht auf digitale Abstimmung reduziert werden, sondern muss als Herausforderung betrachtet werden, die von bildungs- bis hin zu industriepolitischen Standards und Rahmenbedingungen bestimmt werden. Es ist daher notwendig, die Grundlagen für eine Diskussion auf breiter Basis zu den demokratiepolitischen Implikationen von ICT zu schaffen.

Eine demokratische Gesellschaft ist von einer informierten Öffentlichkeit abhängig, die in der Lage ist, politische Entscheidungen zu treffen. Historisch war die Schaffung einer "öffentlichen Sphäre" die Voraussetzung für eine Entwicklung in Richtung Demokratie, Orte und Foren, wo Themen einer politischen Community diskutiert und debattiert und wo grundlegende Informationen für die Teilnahme an einer demokratischen Gemeinschaft präsentiert wurden.

Die Logik der Medienmarktkontrolle durch private Interessen steht im Gegensatz zur Kultivierung und Ausformung der "öffentlichen Sphäre". Ein ausschließlich profit-orientierter Medienmarkt mündet zwangsläufig in substanzielle Defizite im Bereich der Medienkultur. Die öffentliche Sphäre kann sich am besten unabhängig von Staat und dominanten ökonomischen Einflüssen entwickeln. Eine Gesellschaft, die von technologischen Systemen und digitaler Kommunikation bestimmt ist, sollte eine Lebensperspektive ermöglichen, wo Nutzen und Wert nicht nach materiellen Kriterien bestimmt werden und ein aktives Verfolgen kultureller Freiheit garantiert ist.

So wie TechnokratInnen die Effizienz von Technologie betonen und ihre sozialen Effekte verschleiern, greift eine rein politisch/ökonomische Kritik zu kurz, um inhaltliche Gegenmodelle im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe zu entwickeln. Hinter den Maschinen, die uns umgeben, steckt eine Technologie des Know-how, eine Art die Welt zu betrachten und mit ihr umzugehen - integrierte Definitionen und Informationsmodelle. Die experimentelle kulturelle Praxis hat bei der Eroberung partizipativen Terrains in den elektronischen Informationstechnologien einen besonderen Stellenwert.

Wie eine experimentelle kulturelle Praxis konkret aussieht, lässt sich anhand österreichischer sowie internationaler Beispiele aufzeigen. Mit World-Information.Org hat das im Wiener Museumsquartier beheimatete Institut für Neue Kulturtechnologien einen weltumspannenden Provider für kulturelle Information geschaffen, der sich mit den gesellschaftlichen und politischen Dimensionen der Kommunikationstechnologien auseinander setzt. Gemeinsam mit WissenschafterInnen, KünstlerInnen und TechnikerInnen erforscht man schon seit nunmehr zwei Jahren die globale Struktur der Infosphäre, um die Ergebnisse dieser Untersuchungen der Öffentlichkeit in Form eines umfassenden Archivs kulturellen Wissens zur Verfügung zu stellen.

Mit seiner Entwicklung der künstlerischen Arbeitsformen der Zukunft stützt sich World-Information. Org nicht zuletzt auch auf die Erfahrungen der amerikanischen Mediencamouflage-Experten von RTMark, einer Organisation, die als das bekannteste Online-Investmenthaus für künstlerischen Aktivismus gilt. RTMark versteht sich als eine elektronische Ideenbörse für taktisch operative Einsätze im kulturellen Feld und unternimmt Sabotageaktionen zum Wohle der Menschheit. Zu den wohl bekanntesten Aktivitäten zählte die Finanzierung der Barbie Liberation Organization, deren Ziel es war, die frühkindliche Indoktrination durch geschlechtsspezifische Rollenbilder zu sabotieren. Zu diesem Zwecke wurden zahlreiche Exemplare von Barbies und GI Joes erworben, um deren Sprachspeicher zu vertauschen und die Puppen anschließend wieder in den regulären Handelsverkehr zurück zu schleusen.

Die Arbeit von KünstlerInnen und unabhängigen Kulturschaffenden und ihr Beitrag zur Ausformung einer nachhaltigen und emanzipatorischen Kommunikationsumgebung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn nur die Förderung einer experimentellen Vielfalt, die nicht bloß Profitinteressen dienen, kann es ermöglichen, dem kulturellen Potenzial Neuer Medien gerecht zu werden.

Konrad Becker ist Leiter von Public Netbase Media~ Space! Institut für Neue Kulturtechnologien/t0

Der Text diente zum Teil als Grundlage für einen Beitrag zum Symposium: Reflexionen: Serbien und Österreich. Zur Konstruktion nationaler und kultureller Identitäten: Bilder des Selbst und des/der Anderen; Universität Belgrad, 20.-21.4.2001

http://world-information.org/
http://www.rtmark.com/