Intersektionalität Revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen
Das „Buzzword“ Intersektionalität gehört nach wie vor zu den heiß diskutierten Konzepten in den Sozial- und Kulturwissenschaften, wie dieser 2011 erschienene Sammelband belegt, der auf den Beiträgen einer Tagung beruht, die 2009 in Wien an der Europäischen Ethnologie stattgefunden hat.
Das „Buzzword“ Intersektionalität gehört nach wie vor zu den heiß diskutierten Konzepten in den Sozial- und Kulturwissenschaften, wie dieser 2011 erschienene Sammelband belegt, der auf den Beiträgen einer Tagung beruht, die 2009 in Wien an der Europäischen Ethnologie stattgefunden hat. Wie für Sammelbände üblich bekommt die_der Leser_in gemischte Kost serviert. Nicht „wie üblich“ erscheint hingegen die Zusammenstellung des Bandes, die meinem Eindruck nach (leider werden die Auswahlkriterien für die Beiträge von den Herausgeberinnen nicht offengelegt) sehr erfolgreich der Maxime maximaler Unterschiede zwischen Perspektiven, theoretischen Standpunkten und methodischen Überlegungen folgt. Strukturell teilt sich der Band – von der Einführung abgesehen, die unter anderem eine sehr gute Zusammenfassung der Genealogie des Konzepts Intersektionalität und der virulenten Debatten liefert – in die großen Abschnitte „Intersektionalität in der Diskussion“ und „Empirische Herausforderungen“. Beide sind höchst interessant zu lesen, da sie durch die Kontrastierung sehr unterschiedlicher Zugänge sowohl die Breite der Debatte verdeutlichen, wie auch die damit (notwendig?) verbundene Unschärfe der Begrifflichkeiten. Als eine Art Klammer funktioniert der abschließende Kommentar von Gudrun-Axeli Knapp, der freilich selbst eine Reihe von Fragen aufwirft – nicht zuletzt danach, welche Hierarchien zwischen den Beiträgen und Autor_innen mit einer solchen Setzung hergestellt werden.
Es ist unmöglich, im Rahmen einer Rezension auf die Beiträge im Einzelnen einzugehen, deren Lektüre mir – auch und häufig gerade dort, wo ich den Autor_innen widersprechen wollte – interessante Anregungen, Ein- und Ansichten offenbarte. Die Stärke der kontrastierenden Zusammenschau ganz unterschiedlicher Ansätze, die beide Abschnitte durchzieht, soll hier daher nur anhand des „theoretischen“ Teils gezeigt werden: Dieser wird durch ein E-Mail-Interview mit Nina Degele und Gabriele Winker eingeleitet, deren Beitrag zu einer praxistheoretisch (das heißt an Bourdieu) orientierten „Mehrebenen-Analyse“ im Rahmen der Konferenz heftig diskutiert worden war. Interessant ist freilich vor allem, dass sich die restlichen zwei Beiträge – von Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Isabel Lorey – höchst kritisch gegenüber dem Konzept der „Intersektionalität“ bzw. seiner Rezeption im deutschsprachigen Raum positionieren. Rodríguez’ Beitrag sollte dabei (auch wenn ich der Autorin an einigen Stellen nicht zustimmen würde) meiner Meinung nach zur Pflichtlektüre für antirassistisch und/oder postkolonial Interessierte gemacht werden: Die Autorin legt nicht nur auf textlicher Ebene die ausgeblendete Geschichte deutschsprachiger Intersektionalitätsdebatten – das heißt, die Bedeutung der antirassistischen Interventionen der Schwarzen Frauen- und Migrantinnenbewegung (auch) für die Theorieentwicklung – dar. Sie zieht in ihrer Schreibpraxis, die sich der säuberlichen Trennung von akademisch-theoretischen und politisch-aktivistischen Texten verweigert, auch eine notwendige Konsequenz aus dieser Analyse und führt so die Forderung nach (Re-)Politisierung der Debatte über die bloße Rhetorik hinaus.
Insgesamt kann „Intersektionalität Revisited“ vor allem jenen empfohlen werden, die schon ein wenig in die (deutschsprachige) Intersektionalitäts-Debatte hineingeschnuppert und an einer breiten Diskussion des Konzepts Interesse haben.
Sabine Hess, Nikola Langreiter, Elisabeth Timm (Hg.): Intersektionalität Revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen. Bielefeld: transcript 2011