Konfigurationen des Antifaschismus

Charakteristisch für Politik und Kultur der DDR war die nicht nur sprachliche Ersetzung von Nationalsozialismus durch Faschismus. Einher ging damit zugleich der fast völlige Ausschluss der Shoah aus dem literarischen Gedenken sowie ein generelles Unverständnis gegenüber dem spezifischen Antisemitismus der NS-Zeit und der jüdischen Holocaust-Erfahrungen.

Sowohl die aktuell geführte Debatte über den Antisemitismus in der Linken und insbesondere in der deutschen Linkspartei als auch die kaum beachtete, im Frühjahr dieses Jahres abgewiesene Klage des jüdischen Buchenwald-Überlebenden Stefan Jerzy Zweig, dem sogenannten „Buchenwaldkind“, geben erneut Anlass zu einer Auseinandersetzung mit dem spannungsvollen Verhältnis von Judentum und Literatur in der DDR. So findet der „antizionistische Antisemitismus“, wie ihn Samuel Salzkorn und Sebastian Voigt in ihrer Studie „Antisemiten als Koalitionspartner?“ (1) großen Teilen der deutschen Linkspartei attestieren, nicht zuletzt auch einen Grund im idealisierten Antifaschismus, der sich per se gegen jeden Verdacht des Antisemitismus immunisiert meint. Darin besteht eine Kontinuität zum dominanten Politik- und Geschichtsverständnis der DDR, denn mit der Mythologisierung des Antifaschismus konnte diese einer Verdrängung der Vergangenheit Vorschub leisten, die Antisemitismus und Antizionismus unreflektiert jahrzehntelang fortdauern ließen. Erst die letzte Regierung der DDR unter Lothar de Maizière konnte sich daher dazu durchringen, die Wiedergutmachungsansprüche tatsächlich anzuerkennen, als Folgegesellschaft der NS-Zeit Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus an Jüdinnen und Juden zu übernehmen und kritisch vom eigenen Antizionismus abzurücken. Im Gegensatz zur bundesrepublikanischen Diskussion, in der die Frage nach der Darstellung der Shoah relativ früh ihren Fixpunkt in der Chiffre Auschwitz fand, stand in der DDR der Mythos „Buchenwald“ im Mittelpunkt sowohl literarischer als auch politischer Bezugnahmen. So wurde in Westdeutschland bereits in der Folge seiner Veröffentlichung 1951 Adornos berühmtes Verdikt aus „Kulturkritik und Gesellschaft“ (vgl. Adorno 2003), demzufolge es barbarisch sei, nach Auschwitz an einer Fortsetzung des lyrischen Schreibens festzuhalten, zu einem zentralen Topos in der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Schrecken der NS-Herrschaft. Jegliche Legitimität literarischen und wissenschaftlichen Produzierens war damit grundsätzlich in Frage gestellt.

In der DDR blieb man hingegen auf „Buchenwald“ als Zeichen der Kontinuitätsgeschichte progressiver Bewegungen und Entwicklungen fokussiert. Mit Hilfe der moralischen Instanz des staatlich verordneten Antifaschismus ließ sich auf diese Weise der „Zivilisationsbruch Auschwitz“ (Dan Diner) größtenteils überblenden. Die besondere Aufgabe, die die DDR-Führung der Literatur zugedachte, bestand darin, das offizielle Selbstbild zu stützen, was durch zahlreiche Zensur-, Lenkungs- und Überwachungsmaßnahmen (2) erwirkt wurde. Der dokumentarische Roman „Nackt unter Wölfen“, dessen zentrales Narrativ eine Fiktionalisierung der Rettung von Stefan Jerzy Zweig als dreijährigem Kind in Buchenwald ist, spielte dabei eine entscheidende Rolle bei der Installierung des Geschichtszeichens „Buchenwald“, so Thomas Taterka (vgl. Taterka 2000). Mit der Kantschen Begrifflichkeit des Geschichtszeichens lässt sich hierbei auf „Buchenwald“ als Konstruktion einer moralischen Kontinuität zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verweisen, das heißt „Buchenwald“, reduziert auf den siegreichen antifaschistischen Widerstand, wurde zum Zeichen einer positiv moralischen Tendenz des Menschen und garantierte letztlich die Überlegenheit der kommunistischen Weltanschauung.

Grundlegende Konfigurationen des Antifaschismus in der DDR

Entscheidend für die geschichtliche Einordnung und das politische Verständnis des Nationalsozialismus in der DDR war die folgenreiche Doktrin des Komintern-Generalsekretärs Georgi Dimitroff. Seiner Formulierung aus den 1930er Jahren zufolge sei der Faschismus als „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ (zitiert nach Klaus/Buhr 1964: 191) zu verstehen. Parallelisiert wurden damit Faschismus und bürgerliche Demokratie; der Nationalsozialismus wurde auf eine Ausprägung von ersterem reduziert, was die Ausblendung des eliminatorischen Antisemitismus als zentrales Moment sui generis der nationalsozialistischen Herrschaft bewirkte.

Charakteristisch für Politik und Kultur der DDR war in diesem Sinne die nicht nur sprachliche Ersetzung von Nationalsozialismus durch Faschismus. Einher ging damit zugleich der fast völlige Ausschluss der Shoah aus dem literarischen Gedenken sowie ein generelles Unverständnis gegenüber dem spezifischen Antisemitismus der NS-Zeit und der jüdischen Holocaust-Erfahrungen. Mit der Aufhebung des Klassenantagonismus als Bedingung der Möglichkeit jeder sozialistischen resp. kommunistischen Gesellschaftsformation, deren Realisation die DDR in actu sah, ließ sich zugleich ein Großteil der gesellschaftlichen Widersprüche zum Verschwinden bringen. Auf diese Weise konnte eine antifaschistische Mythenbildung gelingen, die einerseits die Neugründung der DDR als Anschluss an die (Vorkriegs-)Tradition sozialistischer und vor allem kommunistischer Strömungen konstruierte und andererseits den absoluten Bruch mit dem Regime des Nationalsozialismus und dessen Erbe inszenierte. Die offene Absage an das ökonomische System des Kapitalismus kam im politischen Verständnis zudem einer Überantwortung der Kriegsschuld an das „andere“, kapitalistische Deutschland gleich, während die Rückkehr einer Vielzahl exilierter Schriftsteller_innen in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die frühe DDR die Kontinuität einer kulturellen Entwicklung zu bestätigen schien.

Nackt unter Wölfen“ als normative Bezugsgröße des Gedenkens

An die Stelle der Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung der Vergangenheit trat als Imperativ die aktive Arbeit an der Ausgestaltung und Stabilisierung einer neuen Gesellschaftsordnung. Schon 1948 übte Walter Ulbricht Kritik an den zurückgekehrten Exilant_innen, denn diese wären einzig damit beschäftigt, „ihre Erlebnisse in der Emigration, im Konzentrationslager oder noch weiter zurückliegende Ereignisse zu beschreiben“, statt sich dem „Kampf um eine neue gesellschaftliche Ordnung“ zu widmen (zitiert nach Krenzlin 1979: 161). Genau jene spezifische Schlussstrichmentalität bewirkte die Verdrängung der Shoah aus dem kollektiven Gedächtnisraum der DDR und ersetzte das Leid der „rassisch Verfolgten“ durch den glorifizierten Kampf der Antifaschisten. Der Mythos des Antifaschismus wurde zur Legitimationsgrundlage der DDR, sodass auch die Aufgabe der Literatur im Sinne der Parteilichkeit in der Bestätigung dieser Geschichtsdeutung zu stehen hatte.

Besonders herauszuheben ist zudem die Hierarchisierung der Opfer des Nationalsozialismus. Der Logik des programmatischen Antifaschismus folgend waren die sogenannten „rassisch Verfolgten“, zu denen in erster Linie die Jüdinnen und Juden gehörten, lediglich zweitrangige, passive „Opfer des Faschismus“. Ihnen übergeordnet war der heroische Widerstand der „Kämpfer gegen den Faschismus“, dessen Beschwörung nicht zuletzt Teil der ideologischen Erwartung an die Literatur war (vgl. Kämper 2005: insb. 124–130). Was auf unmittelbar individueller Ebene zu unterschiedlich hohen Opferpensionen und sozialen Rangordnungen führte, bedeutete auf politischer und kultureller Ebene vor allem die Idealisierung des antifaschistischen Widerstandskämpfers als Garant für die Kontinuität einer sozialistischen Fortschrittsgeschichte. Als Konsequenz beherrschte dieses Masternarrativ die geschichtliche Deutung der Vergangenheit.

Mit „Nackt unter Wölfen“ lag 1958 ein Roman von Bruno Apitz vor, der paradigmatisch die Ansprüche jenes Masternarrativs zu erfüllen vermochte und dabei zugleich den nach der Formalismus-Debatte von 1951 eng gesteckten Vorgaben für eine sozialistisch-realistische Literatur entsprach. Ohne eine Auftragsarbeit zu sein, nahm der Roman als vermeintlich authentische Schilderung der Lagerrealität in Buchenwald eine prominente Rolle in der Errichtung des Geschichtszeichens „Buchenwald“ ein. Vor dem Hintergrund der Rettung eines jüdischen Kindes durch die Lagerinsassen vor der SS beschwört der Autor den Zusammenhalt und die moralische Integrität des kommunistischen Widerstands im Konzentrationslager Buchenwald. Dabei bürgen Apitz’ eigene Biographie als langjähriger Häftling in Buchenwald sowie die tatsächliche Rettung Stefan Jerzy Zweigs für die Authentizität der Erfahrungen, sodass trotz spannungsvoller Schilderungen, holzschnittartiger Typisierungen und sentimentaler Einschübe der Roman als dokumentarisch rezipiert wurde. Seinen Höhepunkt findet das Buch in der idealisierten Selbstbefreiung Buchenwalds durch den von inhaftierten Kommunisten angeführten Widerstand, die im Gegensatz zur historisch belegten Befreiung steht, die nur mit Hilfe der amerikanischen Alliierten erfolgreich stattfand. Mit Übersetzungen in mehr als 30 Sprachen, einer Auflage von über zwei Millionen Exemplaren und der Verfilmung durch den berühmten DEFA-Regisseur Frank Beyer gehörte „Nackt unter Wölfen“ zu den größten Bestsellern der DDR.

Die Konzentration auf das Rettungsnarrativ und die vermeintliche Selbstbefreiung produzierten eine derartige Wirkungsmacht im Kontext der politischen und kulturellen Leitbilder, dass die Darstellung Buchenwalds bei Apitz zur Norm dafür wurde, was in der DDR über ein nationalsozialistisches Konzentrationslager und den antifaschistischen Widerstand gesagt werden konnte. Alle anderen Texte, die sich mit der Erfahrung in den Lagern beschäftigten, hatten sich entsprechend daran zu messen. Als Konsequenz entwickelten sich erst ab den 1970er Jahren mit Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ (1969) und Fred Wanders „Der siebente Brunnen“ (1971) die ersten Interventionen, wobei gerade die unanfechtbare Dominanz der Darstellung bei Apitz den Raum für einen parallelen, jedoch randständigen Diskurs ermöglichte. So gelang es beiden Autoren jenseits der Anrufung einer sozialistischen Heilsgeschichte und Verklärung des Widerstands die jüdische Katastrophe der Shoah zu thematisieren. Beide Texte entziehen sich den offiziellen Leitkonzepten und unterlaufen, teils ironisch und humoristisch (Becker), teils mit Rekurs auf jüdische Erzähltraditionen (Wander), die Entmündigung der jüdischen Opfer. An die Stelle der Orientierung an einer „objektiven“ Geschichte der Sieger treten die Aneignung der eigenen Geschichte und das Beharren auf der subjektiven Authentizität der Erfahrung.

Damit wird auch das manichäische Bild der Lager kritisierbar, welches apodiktisch zwischen Tätern (der SS) und Opfern (den Inhaftierten) trennt und auf diese Weise die schillernde Figur des bedingungslos integeren Widerstandskämpfers konstruiert. Dass der Realität der Lager nicht nur gänzlich unterschiedliche Situationen der Gefangenen und völlig verschiedene Möglichkeiten des Widerstands entsprachen (vgl. Kogon 1975), sondern zugleich mit Primo Levi von einer „Grauzone“ zwischen Tätern und Opfern innerhalb der Lager gesprochen werden kann, welche durch die Struktur des NS-Systems den Opfern aufgezwungen wurde, wird erst innerhalb dieses Paralleldiskurses thematisierbar. Zugänglich wird dadurch auch der tragische Punkt der erfolglosen Klage Stefan Jerzy Zweigs gegen den Historiker Volkhard Knigge. Zweig, das frühere „Buchenwaldkind“ und Mittelpunkt der Narration in „Nackt unter Wölfen“, wollte die Verwendung des Begriffs „Opfertausch“ im Zusammenhang mit seiner Rettung verhindern und wurde damit letztlich selbst Opfer der in der DDR betriebenen Idealisierung seiner eigenen Geschichte. Für die furchtbare Erkenntnis, dass das Überleben innerhalb des Systems der Konzentrationslager häufig den Tod Anderer implizierte – im Falle Zweigs des 16-jährigen Rom Willy Blum –, blieb durch die hier dargestellte Indienstnahme der Vergangenheit zur Selbstlegitimierung der DDR wenig Raum. Lediglich im begrenzten Rahmen literarischer Interventionen war die Subversion der offiziellen Leitbilder möglich.

Fußnoten

(1) Die durchaus umstrittene, bisher nicht in einer wissenschaftlichen Form publizierte Studie ist als PDF auf der Internetseite der Frankfurter Rundschau zu finden.

(2) Die Geschichte der unveröffentlichten, zugerichteten oder nach jahrelanger Verzögerung erschienenen Literatur in der DDR ist vielfältig und betrifft unzählige Autor_innen. Sie reicht von nicht veröffentlichten Romanen wie etwa Uwe Johnsons eigentlichem Debütroman „Ingrid Babendererde“, Jurek Beckers „Schlaflose Tage“ oder Stefan Heyms „5 Tage im Juni“ über erst nach vielen Jahren erteilte Druckgenehmigungen bis zu gekürzten Ausgaben und mehr oder weniger durch Kleinstauflagen dem Publikum entzogenen Werken.

 

Steffen Rudolph ist Kulturwissenschaftler und lebt in Hamburg.

 

Literatur

Adorno, Theodor W. (2003): Kulturkritik und Gesellschaft. In: Ders.: Gesammelte Schriften 10.1, Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen, Ohne Leitbild. Frankfurt/M., S. 11–30.

Kämper, Heidrun (2005): Der Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit. Ein Beitrag zur Geschichte des sprachlichen Umbruchs nach 1945. Berlin/New York.

Klaus, Georg/Buhr, Manfred (Hg.) (1964): Philosophisches Wörterbuch. Leipzig.

Kogon, Eugen (1975): Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Gütersloh.

Krenzlin, Leonore (1979): Theoretische Diskussionen und praktisches Bemühen um die Neubestimmung der Funktion der Literatur an der Wende der fünfziger Jahre. In: Münz-Koenen, Ingeborg (Hg.): Literarisches Leben in der DDR 1945 bis 1960. Literaturkonzepte und Leseprogramme. Berlin, S. 152–195.

Taterka, Thomas (2000): „Buchenwald liegt in der Deutschen Demokratischen Republik.“ Grundzüge des Lagerdiskurses in der DDR. In: Dahlke, Birgit/Langermann, Martina/Taterka, Thomas (Hg.): LiteraturGesellschaft DDR. Stuttgart, S. 312–365.