K.U.L.M. – Avantgardismus und „Provinz“

<p>Mehr als 20 Jahre K.U.L.M. (von 1993 bis 2015/16 unter der Ägide Richard Frankenbergers) gingen nunmehr in einer gewissermaßen bereits „klassisch“ zu nennenden Form zu Ende.</p> <p>Für langjährige Mitglieder gilt es nun – organisatorisch und vielleicht auch inhaltlich – „neue“, zumindest aber veränderte Wege zwischen „Tradition“ und Innovation zu finden. Einige Aspekte werden in der Übergangsphase allerdings weitgehend konstant bleiben – vor

Mehr als 20 Jahre K.U.L.M. (von 1993 bis 2015/16 unter der Ägide Richard Frankenbergers) gingen nunmehr in einer gewissermaßen bereits „klassisch“ zu nennenden Form zu Ende.

Für langjährige Mitglieder gilt es nun – organisatorisch und vielleicht auch inhaltlich – „neue“, zumindest aber veränderte Wege zwischen „Tradition“ und Innovation zu finden. Einige Aspekte werden in der Übergangsphase allerdings weitgehend konstant bleiben – vor allem das soziale und kulturelle „Hintergrundrauschen“ des historisch und geographisch vorgegebenen so- ziokulturellen „Feldes“, das aller sog. Internationalisierung und Globalisierung zum Trotz realiter doch (lebensweltlich) provinziell geprägt bleibt. (Betrachtet man die Problematik des Verhältnisses von „Zentrum“ und „Peripherie“ aus der Perspektive einer „Pragmatik“ der Kunst, so darf man den Aspekt der „institutionellen Ordnung“ der Kunstorganisation nicht übersehen: Der „Kunstbetrieb“ selbst konstituiert künstlerische und kulturelle Peripherien und „Provinzen“ – schon allein durch die zentralisierte institutionelle „Infrastruktur“, der dann beinahe zwangsläufig auch eine Konzentration der künstlerischen und kulturellen Aktivitäten entspricht. In diesem Sinne führen diese „Zentren“ eo ipso auch zur Bildung der Kehrseite – der kulturellen „Provinz“!) Die Thematik eines Dualismus des künstlerischen „Aktionsraumes“ zwischen (urbanem) Zentrum und ländlicher Provinzialität wurde von K.U.L.M. unter anderem im Jahre 2005 mit den Projekten zu „Vorstadt/Suburbia – Kunst im suburbanen Lebensraum“ reflektiert – nicht zuletzt als „Reaktion“ auf die tägliche Erfahrung.

Gerade weil Kunst auf keine einschränkende Definition begrenzbar ist, kann sie grenzüberschreitend agieren!

Schon die Motivation zur Gründung der Kunst- und Kultur-Initiative K.U.L.M. ergab sich aus der Erfahrung der „Widerständigkeit“ des sozio-kulturellen Umfeldes – anfänglich noch stark in sog. „lebenspraktischen“ Fragen verankert und weniger hinsichtlich künstlerischer Aspekte. Zunächst ging es für viele der späteren K.U.L.M.-AktivistInnen um Fragen der Gestaltung des alltäglichen Lebensraumes, so dass sich daraus auch die expliziten „Vernetzungsstrategien“ von K.U.L.M. entwickelten. Von Beginn an verstand sich die Initiative nicht allein als künstlerischer Ausdruck, sondern „Kunst (wurde auch) als Instrument gesehen, über Themenbereiche im Kontext „Kunst, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft“ nachzudenken und sie mit künstlerischen Mitteln zu bearbeiten“.1 Und weiter heißt es: „Im Sinne von „Kunst und Leben“ wurden Themen aus den Bereichen „Kunst, Politik, Wissenschaft“ in den öffentlichen Raum getragen – in Zusammenarbeit, aber auch in Konfrontation mit der Bevölkerung vor Ort.“2

Treppe in Wiese mit Aussichtsplattform

Dem von Richard Frankenberger vertretenen sog. „erweiterten Kunstbegriff“ Beuys’scher Provenienz entsprechend stand die Einbindung der Bevölkerung immer im Mittelpunkt der Aktivitäten – eine „Einbindung“, die durchaus auch über provokative Strategien und eben auch über „Konfrontationen“ (vom „Wirtshaustisch“ bis hin zu „klassischen“ Ausstellungen) verlief.


Kunsttheoretisch betrachtet ordnet sich K.U.L.M. nicht nur zwischen den Extremen des modernen bzw. „nach-modernen“ Kunstbegriffs ein, sondern besetzt im Grunde den Pol eines extensiven Kunstbegriffs. Wird der eine Pol durch den Begriff einer völligen „Autonomie“ der Kunst gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Bereichen und Diskursen definiert (nach dem Motto: Kunst ist Kunst!), so der andere durch die Auflösung aller Grenzziehungen und Differenzierungen wie es im Beuys ́schen Diktum des „Lebens als Kunst und der Kunst als Leben“ zum Ausdruck kommt.Derart wird „Kunst“ notwendig „zur sozialen Intervention“, zum unmittelbaren Aktionismus im gesellschaftlichen „Feld“.

Anlässlich der Ausstellungs-, Vortrags- und Publikationstrilogie „K.U.L.M. Mitteilungen I–III“ (2013–2016) konnte die kunsttheoretische „Positionierung“ von K.U.L.M. folgender- maßen „zusammengefasst“ werden: „Welchen Sinn sollte es nach dieser „Extension“ des Kunstbegriffs eigentlich noch machen, die „Diskursform“ Kunst von anderen Diskursformen wie Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Recht, Ethik etc. „eindeutig“ abzugrenzen, zu differenzieren oder gar auf bestimmte „Funktionen“ festlegen zu wollen? Findet sich das soziale Leben des Menschen nicht im wahrsten Sinne des Wortes in einem ständigen „Crossover“ unterschiedlichster Faktoren „vernetzt“, müsste man mit Vilém Flusser die Realität nicht in Wahrheit als Frage der „Punktdichte“ beschreiben – als „Knoten“ von Relationen all dieser unterschiedlichen Bereiche? Man ist ja niemals „nur“ Künstler bzw. Künstlerin – man ist immer auch ein Mensch mit sozialen Beziehungen, man ist auch politisches, juristisches, moralisches und wirtschaftliches Subjekt etc.

Man kann (muss) es als scheinbares Paradox formulieren: Als Konsequenz der Kunsttheorie erweisen sich die differenziellen Kategorien von Theorie und Praxis, von Kunst versus „Leben“, Wirtschaft oder Wissenschaft (und wie immer diese dualistischen Schemata noch heißen mögen) als fiktive „Idealismen“ der Geschichte des Kunstbegriffs. Durchaus absehbar ist dem entsprechend, und wie schon Th. W. Adorno andeutete, die Mög- lichkeit einer „Bestimmung“ der Kunst in ihrer eigenen „Aufhebung“ – also Kunst als Leben, Leben als Kunst! (Und es ist keineswegs nur eine geschichtliche „Zufälligkeit“, dass dies nicht nur eine Konsequenz der Kunsttheorie ist, sondern von Joseph Beuys auch zur „Praxis“ der Kunst selbst gemacht wurde.) Unter diesen Voraussetzungen überschreitet „Kunst“ gleichsam aus „innerer Notwendigkeit“ heraus auch ihre (traditionellen) Grenzen gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Diskursformen wie z.B. Wissenschaft oder Politik – und paradoxer Weise ergibt sich diese „Freiheit“ zur Grenzüberschreitung gerade aus ihrem extremen Autonomie-Anspruch.

Kunsttheoretisch betrachtet ordnet sich K.U.L.M. nicht nur zwischen den Extremen des modernen bzw. „nach- modernen“ Kunstbegriffs ein, sondern besetzt im Grunde den Pol eines extensiven Kunstbegriffs.

Die künstlerische Intention kann sich so alles (!) integrieren, die künstlerische Theorie und Praxis kann sich auf alles ausweiten und alles (künstlerisch) transformieren. So werden sozietäre Strukturen und Bereiche ebenso zum künstlerischen Aktionsfeld und zum „Gegenstand“ künstlerischer Interventionen wie auch scheinbar „kunstfremde“ Diskurstypen. Gerade weil Kunst auf keine einschränkende Definition begrenzbar ist, kann sie grenzüberschreitend agieren!

Die Initiative K.U.L.M. praktiziert dieses grenzauflösende, grenzüberschreitende, polydiskursive und dennoch integrative Kunstverständnis seit allem Anfang an – es ging und geht um die „Kollision“ (Schnittstelle) des künstlerisch-praktischen mit dem theoretischen Diskurs, des künstlerischen mit dem sozialen, mit dem wissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Diskurs –, auch wenn dies nur allzu oft auf Unverständnis stößt!


Dem entsprechend beschränken sich die künstlerischen Aktivitäten, die ja immer als Teil der sozio-kulturellen „Lebenswirklichkeit“ verstanden werden, auch nicht auf „isolierte Kunstwerke“, sondern intendieren vor allem politische und wissenschaftliche „Anschlussdiskurse“ (wiederum als Teil des künstlerischen Gesamtprozesses gesehen!). Man kann es metaphorisch auch so sagen: Die Eröffnungsansprache eines Politikers anlässlich einer Ausstellung ist weniger die übliche Zutat zum Ausstellungszeremoniell, sondern vielmehr die „Ausstellung“ (die „Performance“) des politischen Diskurses in Relation zur Kunst oder: Der Auftritt der Redner (Politiker, Vortragende etc.) erhält selbst „Ausstellungswert“. Jede kunsttheoretische Positionierung ginge in dieser Hinsicht fehl, würde man hier eindeutige „Trennlinien“ und eindeutige Bereiche fixieren wollen.“3

Kulm Iglu von Innen

Für so manchen mag diese polydiskursive „Strategie“ sowohl formal als auch inhaltlich heterogen und „verwirrend“ wirken, im Grunde zielte aber alles auf eine gleichsam „mosaikartige“ Gesamtperspektive ab. In diesem Sinne beschränkte sich K.U.L.M. keineswegs auf künstlerische Formen, sondern initiierte und „inszenierte“ etwa im Rahmen der „K.U.L.M. Akademie“ Vortrags- und Diskussionsforen, die explizit wissenschaftliche, politische und ökonomische „Diskurse“ miteinander verbanden, aber auch miteinander konfrontierten, um die jeweiligen Thematiken eben auch aus unterschiedlichsten Perspektiven zu beleuchten. Das Entscheidende aber war, dass diese Diskurse nicht an den dafür üblichen Orten, d.h. in den „Zentren“ des „Wissens“, an Universitäten und in hermetischen Seminarräumen mit dem dafür „vorgesehenen“ Publikum stattfanden, sondern gleichsam an „heterotopischen“ Orten in der Provinz – und mit einem „provinziellen“ Publikum, das oftmals die viel berüchtigte „Schwellenangst“ zu überwinden hatte.

Welche künstlerischen „Leistungen“ auch immer im Rahmen der Aktivitäten von K.U.L.M. von den Mitgliedern oder auch von den oft renommierten „Gästen“ erbracht worden sind, im Vordergrund stand primär die Idee einer „Intervention“ in den umgebenden „Lebensraum“, um diesen zumindest „mitzugestalten“, um diesen „Lebensraum“ nicht einfach den „politischen“ Zwängen zu überlassen. „Nomadin“ und der weithin sichtbare „DOM“ sind gleichsam architektonische „Wahrzeichen“ und „Spuren“, die den zumeist unsichtbaren Interventionismus von K.U.L.M. doch sichtbar werden lassen.

 

1 Falter Special, Nr. 41a/05: Vorstadt/Suburbia – Kunst im suburbanen Lebensraum, S. 3. 2 Ebenda. 3 Vgl. Erwin Fiala: Einleitung, in: Richard Frankenberger (Hg.): K.U.L.M. Mitteilungen I. Diversität (Vielfalt) 2013, Graz (edition keiper) 2014, 8–9.

 

Autor:

Erwin Fiala ist Medien- und Kunstphilosoph, lehrt am Institut für Philosophie der Universität Graz und am Institut für Architekturtheorie, Kultur- und Kunst- wissenschaft (TUGraz), Prof. für Mediendesign und Kommunikation an der HTBLuVA Graz (Kolleg für Kunst und Design), Autor und Ausstellungskurator; Arbeitsschwerpunkte: Ästhetik, Kunsttheorie und Semiotik.

Fotos: © Richard Frankenberger