Mitgliedsnummer 875
Die Fakten sind bekannt: Ödön von Horváth suchte am 11. Juli 1934 um die Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Reichsverband Deutscher Schriftsteller an und wurde kurze Zeit später aufgenommen. Schon in den Jahren davor war eine zunehmende Entpolitisierung bei Horváth zu beobachten.
Warum Ödön von Horváth trotz seiner Mitgliedschaft im Reichsverband Deutscher Schriftsteller als antifaschistische Identifikationsfigur funktioniert.
Die Fakten sind bekannt: Ödön von Horváth suchte am 11. Juli 1934 um die Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Reichsverband Deutscher Schriftsteller an und wurde kurze Zeit später aufgenommen. Schon in den Jahren davor war eine zunehmende Entpolitisierung bei Horváth zu beobachten. Im Mai 1933 weigert er sich, einen schriftlichen Protest gegen die Bücherverbrennung zu unterschreiben. „Du willst Dir nach keiner Seite irgendein Geschäftchen verderben“, kommentierte Oskar Maria Graf in einem am 2. Juni 1933 in der Arbeiter-Zeitung abgedruckten, offenen Brief dieses Verhalten. „Mit solchen Leuten“, so Graf weiter, „deren Gesinnung nicht weiter reicht als ihr Maul, und die bei einem so geringfügigem Ansinnen, das an ihren kollegialen Anstand gestellt wird (von einem Solidaritätsbewusstsein ganz zu schweigen!), die Flucht ergreifen, habe ich nichts zu schaffen.“ (1)
Italienische Nächte
1933 gibt Horváth bekannt, dass er nach der Machtübernahme der Nazis von nun an in Wien zu leben gedenkt. Faktisch meldet er sich aber bereits am 12. März 1934 in Wien ab und begibt sich nach Deutschland (Polt-Heinzl/Schmidjell 2001: 217). Er wurde nicht nur Mitglied in einer NS-Organisation, sondern biederte sich in einem Brief, den er am 18. Juni 1934 an den Neuen Bühnen Verlag im Verlag für Kulturpolitik GmbH schickte, sogar offen an die Nazis an. Er habe sich „in freien Stücken in eindeutiger Weise für Deutschland erklärt (…) dem Lande“, für das er „im Ausland immer eingetreten“ (zitiert nach ebd.: 230) sei.
Wer Horváths Entscheidung, in den Reichsverband deutscher Schriftsteller einzutreten und sich an NS-Funktionäre anzubiedern, mit einem Verweis auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in den 1930er Jahren erklärt möchte, macht es sich zu leicht. Vergleiche mit anderen Biografien schützen hier vor falschen ökonomistischen Erklärungsansätzen.
Am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, verlässt Bertolt Brecht gemeinsam mit Helene Weigel und seinem Sohn Stefan Deutschland. Er flieht zunächst nach Prag, dann nach Wien. Ohne Weigel fährt Brecht nach Zürich, wo er sich mit anderen EmigrantInnen in Bezug auf Handlungsoptionen angesichts der Machtübernahme der NationalsozialistInnen berät (vgl. Völker 1997: 65f.). Dass Brecht im Unterschied zu Horváth einerseits die Situation realistischer einschätzte und andererseits auch in einer für ihn persönlich mehr als prekären Situation nach politischen Handlungsperspektiven suchte, zeigt das folgende Zitat aus einem Brief, den er am 28. Juni 1933 an Johannes R. Becher, den Sekretär des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, schrieb:
„Die linken bürgerlichen Schriftsteller richten sich im allgemeinen auf eine lange Emigrationszeit ein, sondieren wohl auch noch die Möglichkeit der Rückkehr und haben für einen Kampf mit dem Faschismus keinen Standpunkt. Man verleiht ihnen keinen solchen, indem man sich ab und zu für irgend etwas ihre Namen ausborgt. Dabei gäbe gerade der Umstand, daß sie ihre Standpunktlosigkeit und Wehrlosigkeit jetzt zum Teil empfinden, uns bei ihnen eine wirkliche Chance, deren Zeit allerdings bemessen sein dürfte. Wenn überhaupt jemals, dann würden sie jetzt für eine wirkliche politische Schulung zu haben sein.“ (ebd.: 66.)
Brecht arbeitet in dieser Sequenz sehr gut heraus, in welcher Situation sich viele seiner KollegInnen 1933 befanden. Sie hatten die Wahl zwischen Emigration, offenem Widerstand oder Integration in das NS-System. Die Ausführungen Brechts würden gut auf den Ödön von Horváth von 1933 passen. Vielleicht wäre jener Horváth, der sich damals wehrte, seinen Namen für eine antifaschistische Petition herzugeben, zu diesem Zeitpunkt noch für die von Brecht vorgeschlagene politische Schulung zu haben gewesen. Dass die Zeit dafür tatsächlich bemessen war, zeigte sich nicht zuletzt anhand der wenig später von Horváth getroffenen Entscheidung, dorthin zu gehen, von wo Brecht gerade geflohen war: in das nationalsozialistische Deutschland.
Wenig bekannt ist über Horváths konkretes Schaffen ebendort. Nachdem seine Stücke weder im mittlerweile austrofaschistischen Österreich noch im nationalsozialistischen Deutschland gespielt werden, versucht sich Horváth beim Film. Unter dem Pseudonym H.W. Becker arbeitet er als Drehbuchautor. Dass H.W. Becker auch eine reale Person war, die zeitweise ebenfalls in der Filmindustrie arbeitete, macht die Verwirrung komplett. Einige Filme geben dennoch Aufschluss über Horváths Arbeitsschwerpunkte in dieser Zeit. Darunter etwa eine geplante Verfilmung von Johann Nestroys Einen Jux will er sich machen oder das Projekt Brüderlein fein, ein Film der sich aus Motiven diverser Raimund-Stücke speisen hätte sollen. Ebenfalls wahrscheinlich ist Horváths Mitwirken am Drehbuch für den Film Fahr ma, Euer Gnaden (Polt-Heinzl/Schmidjell 2001: 248). (2) Auch wenn es sich dabei um eine österreichische Produktion handelt, war sie letztlich von den Vorgaben des deutschen Marktes bestimmt, weshalb Horváth auch hier sein Pseudonym benutzte. Schließlich richtete sich die austrofaschistische Filmindustrie trotz der vermeintlichen GegnerInnenschaft des Regimes zum Nationalsozialismus am massenkompatiblen Antisemitismus im Deutschen Reich aus. Horváths Arbeitsschwerpunkte nehmen schon etwas vorweg von der restaurativen Ideologie der österreichischen Kulturnation, die sich erst in ihrer postnazistischen Form voll entfalten sollte.
… kommt aus dem Krieg
Aufschlussreich ist es deshalb, sich mit der Brecht- bzw. Horváth-Rezeption nach 1945 zu beschäftigen. Bereits kurz nach der militärischen Niederschlagung des Nationalsozialismus stand Horváth wieder auf den Spielplänen der Wiener Bühnen. Zwischen 1945 und 1961 gab es 22 Horváth-Inszenierungen in Wien, darunter auch einige an großen Häusern wie dem Theater in der Josefstadt oder dem Volkstheater. Horváths Stücke hatten auch nach 1945 ein gewisses Skandal-Potenzial, was sich im Zusammenhang mit der Inszenierung von Geschichten aus dem Wienerwald im Wiener Volkstheater zeigte. Obwohl um faktisch alle gesellschaftskritischen Stellen erleichtert (in einer antisemitischen Anspielung im Text sahen die Verantwortlichen bezeichnenderweise kein Problem), lösten die ersten Vorstellungen einen Sturm der Entrüstung aus. Das Wiener Publikum empfand sich, trotz der handzahmen Inszenierung, als zu brutal dargestellt. Sowohl bürgerliche als auch kommunistische Blätter unterstützten die WienerInnen in ihrer selbstmitleidigen Empörung (vgl. Bartsch 2001: 140-150). Es wäre trotzdem falsch, das Horváth-Revival nach 1945 als Zeichen für eine kritische Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft in einem postnationalsozialistischen Kontext zu sehen. Vielmehr erwies sich Horváth – trotz seiner ungarischen Staatsbürgerschaft – als sehr brauchbar, als es darum ging, dem Deutschtum eine eigenständige, von der deutschen völlig losgelöste, österreichische Kulturgeschichte entgegenzusetzen. Insbesondere in den ersten Jahren der Zweiten Republik kann der Fokus auf (vermeintlich!) österreichische KünstlerInnen, einhergehend mit der Abwertung von allem als deutsch Wahrgenommenem, als spezifisch österreichische Verdrängungsstrategie ausgemacht werden.
Ein anderer Künstler – im Unterschied zu Horváth seit 1950 österreichischer Staatsbürger – erwies sich für die postnazistische Eingemeindung unter dem Label der Kulturnation als weniger tauglich. Vergleichen wir hier die Horváth- mit der Brecht-Rezeption, fällt zunächst auf, dass auch die Brecht-Dramatik bereits im Jahr 1946 wieder an einer großen Wiener Bühne zu sehen war. Sieht man von den Brecht-Aufführungen des von der Sowjetunion finanzierten Neuen Theater in der Scala ab, wurden von 1945 bis zum Beginn des Wiener Brecht-Boykotts 1956 jedoch lediglich vier Stücke von Brecht auf größeren Wiener Bühnen gespielt. Dabei handelte es sich um drei Wiener Eigenproduktionen sowie ein Gastspiel des Zürcher Schauspielhauses (vgl. Palm 1983: 281f.).
Bereits die erste große Brecht-Inszenierung nach 1945 hatte es in sich: Im Jahr 1946 inszenierte Rudolf Steinböck Der Gute Mensch von Sezuan am Theater in der Josefstadt. Die Besetzung der Hauptrolle mit der aus NS-Propagandafilmen bekannten Paula Wessely löste damals zumindest eine kleine politische Debatte aus. Insbesondere Viktor Matejka (KPÖ), zu diesem Zeitpunkt Kulturstadtrat von Wien, wurde kritisiert, weil er in Wessely lediglich eine Nazi-Mitläuferin sehen wollte. Auch der damals noch in Kalifornien lebende Brecht formulierte Einwände gegen das Projekt. Wessely sei keine adäquate Besetzung, schreibt Helene Weigel in seinem Namen. Zudem hätte sich die Theatertheorie Brechts während der Zeit im Exil weiterentwickelt, was in Wien – laut Weigel – scheinbar noch nicht angekommen sein dürfte. Matejka akzeptierte die Einwände von Brecht und Weigel nicht, und auch weitere Interventionen Letzterer, etwa beim damaligen Wiener Bürgermeister Theodor Körner, konnten Der gute Mensch von Sezuan in Wien nicht verhindern. Das Stück wurde in der geplanten Besetzung inszeniert und aufgeführt (vgl. ebd.: 29-31).
Bestand man 1946 noch darauf, Brecht mit einer Nationalsozialistin in der Hauptrolle zu inszenieren, begann man vor dem Hintergrund des Kalten Krieges bereits wenig später, ihn politisch zu bekämpfen und für Jahre von den großen Wiener Bühnen zu verbannen. Hervorzuheben in Bezug auf das postnazistische österreichische Verhältnis zu Horváth und Brecht ist hier insbesondere die Rolle des Theaterkritikers Hans Weigel. Er war es, der den Brecht-Boykott an den Wiener Theatern publizistisch forcierte (vgl. ebd.: 93-133), und er war es auch, der sich zur gleichen Zeit ausgerechnet für die Wiederaufführung der Dramen Ödön von Horváths einsetzte. (3)
Ein Kind seiner Zeit?
Horváth mag ein Kind seiner Zeit gewesen sein. Allerdings haben andere Kinder seiner Zeit anders als er gehandelt. In der postnazistischen Rehabilitierung Horváths und dem Versuch, seine zeitweilige Hinwendung zum Nationalsozialismus zu erklären, schwingt der unausgesprochene Wunsch mit, auch das Verhalten der eigenen (Ur-)Großeltern in den 1930er Jahren zu rationalisieren. Sie werden zu dem, wozu Horváth posthum und die österreichische Nation als Ganzes stilisiert wurde und wird: zum (ersten) Opfer der Nazis.
Fußnoten
(1) zit. nach www.kerber-net.de/literatur/deutsch/drama/horvath/horvath_nationalsozialismus.pdf – zum Kontext vgl. Wenighofer 2006: 9.
(2) Die Beteiligung Horváths an diesem Film verifizierte Paul Hörbiger nach 1945 mit einer eidesstattlichen Erklärung.
(3) In Theater der Zeit schrieb er einen Aufruf, Ödön von Horváth wieder in die Spielpläne der deutschsprachigen Theater zu integrieren (vgl. Weigel 1957).
Florian Wagner studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien.
Literatur
Bartsch, Kurt (2001): „Frühe Horváth-Aufführungen in Österreich nach 1945“. In: Kastberger, Klaus (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit. dumme Unendlichkeit, Wien: Zsolnay.
Palm, Kurt (1983): Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich, Wien: Löcker.
Polt-Heinzl, Evelyne/Schmidjell, Christine (2001): „Horváth und der Film“. In: Kastberger, Klaus (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit. dumme Unendlichkeit, Wien: Zsolnay.
Völker, Klaus (1997): Brecht-Chronik. Daten zu Leben und Werk, München: dtv.
Weigel, Hans (1957): „Aufforderung, Ödön von Horváth zu spielen“. In: Theater der Zeit, 7 / 1957.
Wenighofer, Andrea (2006): Ödön von Horváths „Hin und Her“ und die Nachlassmaterialien im Österreichischen Literaturarchiv, Diplomarbeit: Universität Wien.