Regionalentwicklung und Transformationskultur - Impulse für ländliche Regionen
Die Stadt existiert nicht ohne das Land, daher ist es wesentlich, den urbanen und den ländlichen Raum nicht für sich sondern in seinen Wechselwirkungen und Austauschbeziehungen zu begreifen. Es braucht deswegen integrative und sich ergänzende Ansätze, die gemeinsam mit der Bevölkerung verfolgt werden. Der Kulturbereich spielt dabei einer dreifache Rolle: 1. Impulse setzen, um Dinge neu zu denken, 2. auf das Innere achten (psychologische Gesundheit) und 3. neue Selbstverständlichkeiten schaffen.
FotoCredits: Styrian Summer Art diSTRUKTURA by Lupi Spuma
Rund zwei Drittel wünschen sich laut einer Umfrage in Deutschland eine Lebenssituation im ländlichen Raum bzw. in einer Kleinstadt.1 Die demographische Entwicklung sieht aber anders aus: Städte bzw. ihre „Speckgürtel“ wachsen auf Kosten des ländlichen Raums und werden es weiter tun. Wie lässt sich diese Divergenz erklären? Und was braucht es, damit dieser Wunsch, am Land oder in einer Kleinstadt zu leben, in Erfüllung geht? Dieser Artikel versucht Dynamiken zwischen Stadt und Land aufzuzeigen und Anknüpfungspunkte zu verdeutlichen, damit eine Renaissance ländlicher Räume möglich wird.
Über Stadt und Land
Das eine existiert nicht ohne den anderen, daher ist es wesentlich, urbane und den ländlichen Raum nicht für sich sondern ihre Wechselwirkungen und Austauschbeziehungen zu verstehen.
Städte zeichnen sich in der Regel durch eine hohe Dichte aus, die der in der Regel ländliche Raum nicht aufweist: Bevölkerung, Angebote (Kultur, Bildung, Dienstleistung, …), Entscheidungsinstanzen, usw. Damit besitzen Städte eine Zentrumsfunktion und können darüber hinaus mit anderen Städten auf der Welt besser als mit ihrem eigenen Umland vernetzt sein. Dies betrifft aber eher Kapitalströme, Güterlieferketten, den Städtetourismus und damit verbundenen Kommunikationsströme. Erholungssuchende Städter_innen und Pendelbewegungen weisen auf „klassische“ Stadt-Umland-Bewegungen hin. Der Regionalitätsboom (hauptsächlich bei Lebensmitteln) bringt eine weitere Facette mit ein. Insgesamt scheint es angenehm, in einer Stadt zu leben, in der zudem der Vorteil der Anonymität für viele Menschen besteht. Das Grätzl, die aktiv gelebte Nachbarschaft, scheint zu verschwinden. Die vergleichsweise kurze Wohndauer (z. B. 3-Jahres-Mietverträge) und der Alltagsstress mögen Hemmnisse für das Entstehen urbaner Dörfer sein – dazu später mehr.
Der anscheinende Niedergang des ländlichen Raums ist ein Teufelskreis: weniger Menschen bedeuten weniger Kommunaleinnahmen, höhere Pro-Kopf-Infrastrukturkosten (Kindergärten, Schule, Versorgungsleitungen, Öffentlicher Verkehr, Ärzte) und eine geringere Kaufkraft und Nachfrage (für örtliche Nahversorger, Gasthäuser, Geschäfte, etc.). Öffentliche, private und zivilgesellschaftliche Angebote werden reduziert, Bildungs- und Kulturangebote sowie Arbeitsplätze gehen verloren (bzw. verlagern sich in die Zentren), was dazu führt, dass das Leben am Land erschwert und unattraktiv wird. Langes, tägliches oder gar wöchentliches Fernbleiben vom Heimatort (längere Arbeitszeit, längere Pendelzeit/-distanz) machen es schwer, sich aktiv um ein vitales Dorfleben zu kümmern. Irgendwann kommt es zur Abwanderung, entweder von peripheren Gebieten in nahgelegene Klein- und Mittelzentren (v. a. in Berglandregionen) oder gleich in die größeren (Landeshaupt-)Städte oder deren Speckgürtel. Dieser Braindrain ist vor allem weiblich. Der ländliche Raum veraltet und wird mehrheitlich von Männern dominiert.
Zusammengefasst braucht es Antworten bzw. Lösungen unter anderem für folgende Ziele:
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Erhalt und Schaffung der (öffentlichen) Infrastrukturen zur Daseinsvorsorge: Versorgung, Bildung, Erholung, Medizin, öffentlicher Verkehr, usw. – am besten unter Einbindung der Bevölkerung und „unkonventioneller“ Partner*innen zur Stärkung der Regionalökonomie.
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Mit dem vorigen verbunden ist der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen – am besten auf Basis einer dekarbonisierten Wirtschaft („Green Jobs“) und regionalen Wirtschafts- und Stoffkreisläufen.
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Bewusste Anstrengung, um Tages- und Wochenpendler miteinbeziehen – am besten werden ihre Ressourcen (Human- und Sozialkapital) vor Ort eingebunden oder Rahmenbedingungen für „Multilokale“ geschaffen.
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Erhalt und Schaffung eines vielseitigen, kulturellen Angebots und einer aktiven Nachbarschaft – am besten mit der lokalen Bevölkerung, unter Einbindung von „Multilokalen“ und eingebettet in die Regionalökonomie. Wie auch bei den Infrastrukturen geht es um neue Kombinationen und innovative „Cross–Connects“ zwischen Akteur*innen aus verschiedenen Bereichen und räumlichen Skalen.
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Eine nachhaltige Raumplanung, die der Zersiedelung Einhalt gebietet.
All das, so das Plädoyer des Artikels, braucht Anstoßimpulse. Einige davon werden im Folgenden geschildert.
Alte Schubladen aufbrechen, um neue Strategien zu finden
Für vitale Gemeinden und Regionen braucht es verschiedene Ansätze in Kombination. Es reicht nicht aus, „nur“ Arbeitsplätze zu schaffen und Anreize für Betriebsansiedelungen zu machen. Im schlimmsten Fall, kaum erreichtet, verwaist das Einkaufszentrum am Ortsrand auch schon, weil es davon zu viele gibt. Neben der interkommunalen Konkurrenz stirbt noch das eigene Ortszentrum aus, welches vom Teufelskreis ländlicher Räume schon ausreichend erfasst ist. Die Fläche ist dann zusätzlich verloren – vielleicht war sie mal ein guter Ackerboden.
Es braucht deswegen integrative und sich ergänzende Ansätze, die mit der Bevölkerung verfolgt werden. Komplexe raumplanerische und gesellschaftliche Belange dürfen nicht nur top down verfolgt werden. Es braucht die Bevölkerung in ihren verschiedenen Rollen als politische Vertreter*innen, Unternehmer*innen, Kulturschaffende, Konsument*innen, usw. Dies betrifft die regionalen Wirtschaftsstrukturen, die nicht nur auf Spezialisierung und „Export“ ausgelegt sind, sondern auch regionalwirtschaftlich organisiert sind und zur lokalen Grundversorgung beitragen. Der autozentrierte Verkehr braucht umweltfreundliche und sozialverträgliche Alternativen. Nicht nur beim Verkehrsverhalten oder -angebot ist hier anzusetzen. Auch die Raumplanung muss der Zersiedlung Einhalt gebieten und vor allem Ortskerne schaffen, die Begegnung ermöglichen - dort wo die Angebote zur Grundversorgung zu finden sind. Mit internetbasierten Lösungen lassen sich auch mobile Dienstleistungen aller Art neu organisieren. Aber auch das braucht einen kritischen Zugang: Datenschutz, Überwachung und arbeitsrechtliche Probleme und generell die künftige Entwicklung der Arbeitswelt sind nur einige Herausforderungen der Digitalisierung.
Und nicht zuletzt braucht es Kunst, Diskurs und Kultur - dort zeigt sich die zwischenmenschliche Qualität, die letztlich nicht das „Topping“ für die Entfaltung von Gemeinden und Regionen sind, sondern das Fundament. Es geht also nicht nur um „gute“ statistischen Werten, die allzu oft Entwicklungsentscheidungen aus der Ferne bestimmen.
Oasen des Wandels
Es braucht so etwas wie Oasen des Wandels, die miteinander vernetzt und lokal eingebettet sind. Dabei handelt es sich um Initiativen und Orte, die Impulse setzen: je nach Stärken, inhaltlichen Ausrichtung und örtlichen Gegebenheiten. Die Transition (Town) Bewegung – in England entstanden, inspiriert aus der Permakultur – ist ein gutes Beispiel dafür. Ausgehend von der Initiative von BürgerInnen, bewegt durch die Klimakrise, der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und fehlender oder verlorengegangener Infrastrukturen der Grundversorgung beginnen sie durch kleine Pionierleistungen und positive Geschichten einen Kulturwandel hin zur regionalen Resilienz anzustoßen: global denken, lokal handeln. Egal ob Solarpanels am Dach, eine solidarische Landwirtschaft, gemeinwohlorientierte Unternehmen, Regionalwährungen – sie beginnen dort, wo sie Kraft schöpfen und kanalisieren können. Der Kulturbereich spielt dabei einer dreifache Rolle: 1. Impulse zu setzen, um Dinge neu zu denken, 2. auf das Innere zu achten (psychologische Gesundheit) und 3. neue Selbstverständlichkeiten zu schaffen. Transition ist dabei bottom up. Für sehr viele Entscheidungen und Planungen für die Energiewende braucht es dann auch die zuständigen politischen VertreterInnen.
Transition Town Friesach ist eines der wenigen Vertreterbeispiele in Österreich. Ausgehend von einem Kostnixladen entwickelte sich eine vitale Gruppe, die langsam wächst, aber immer auch auf das soziale Miteinander achtet. So kann auch in einem Umfeld, in dem Transition sicher als etwas „Exotisches“ wahrgenommen wird, Veränderung angestoßen werden. Weitere Beispiele für solche Ansätze, wenn sie sich auch nicht Transition nennen, gibt es sehr viele.
Der Dorfplatz in St. Andrä-Wördern in Niederösterreich vereint verschiedene Kunsthandwerker*innen in kleinen Werkstätten, dem Angebot eines Gemeinschaftsbüros, einer Foodcoop, eines Repair Café und Sozialprojekte in einer gemeinschaftlich genutzten Infrastruktur.
Die Dorfschmiede Gutenstein ist eine Genossenschaft, die v. a. Stadtbewohner*innen anzieht, um gemeinschaftlich die Gemeinde zu entwickeln – schon die davor von der Gemeinde selbst gesetzten Initiativen zur Einbindung ihrer Bürger*innen bei der Schwimmbadrenovierung oder in der Durchführung der Raimundspiele sind ein Beispiel für eine Dorferneuerung.
Das Cambium – Leben in Gemeinschaft in Fehring wurde über einen Vermögenspool finanziert, um eine ehemalige Kaserne nicht nur in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu verwandeln, sondern um ein tatsächliches Reallabor für zukunftsfähige Lebensweisen zu schaffen: das betrifft nicht nur die Selbstversorgung, sondern auch ihre soziokratische Struktur, den Bemühungen, das alte Kasernengebäude zu ökologisieren oder eine Regionalökonomie aufzubauen. Vieles ist eine Herausforderung, weil die meisten noch auswärts berufstätig sind.
Die Landprobe in Taiskirchen im Innkreis bietet den Städter*innen die Möglichkeit, das Landleben auszuprobieren. Die sogenannten „Landschwämmer*innen“ bringen sich in ihrer Probewoche aktiv in das Dorfleben ein. In der Gemeinde Ottensheim in Oberösterreich beleben kreative Jungunternehmer*innen und Kulturschaffenden die Dorfkultur – auch EisenerZ*ART und das Rostfest sind gezielte Initiativen, um durch kulturelle Impulse eine von Abwanderung betroffene Region zu attraktivieren.
Nicht zu vernachlässigen sind die vielen Multilokalen, die nicht an einem festen Orten leben: von Tages- und Wochenpendlern, die beruflich (meist) in der Stadt sind, bis hin zu jenen, die faktisch an mehreren Orten leben, wohnen, arbeiten und sich bilden. Sie können eine Bereicherung für die Orte sein, in denen sie sind, in dem sie Neues von außen mitbringen können und diese Orte miteinander verbinden.
Diese Initiativen zeigen auf, wie urbane Qualitäten im ländlichen Raum aussehen können. Da sind somit die urbanen Dörfer von morgen. Was braucht es noch?
Interkommunale Vernetzung und Austausch – Die DorfUni
Die lokal gut eingebetteten Oasen vernetzen sich. Gerade die Erfordernis, in vielen Bereichen rasch zu handeln und langfristig und strategisch zu planen (wie in der Raumplanung) erfordert Knowhow. Hier ist es gut, Erfahrungen austauschen zu können, voneinander zu lernen und wissenschaftliche Expertisen einzubringen. Ebenso sollen neue Oasen des Wandels aus dem Boden sprießen: wenn an vielen Orten, viele Menschen kleine Dinge tun, werden sie die Welt verändern – wie ein Sprichwort so schön sagt.
Deswegen hat sich die DorfUni mit dem Ziel gegründet, diesen interkommunalen Austausch zur Stärkung lokaler Gemeinschaften zu unterstützen. Dafür braucht es nicht nur die virtuelle Infrastruktur, sondern auch eine gute lokale Moderation und Übersetzung – weniger sprachlich, als kontextuell und begrifflich. Um sich nicht nur von (virtuellen) Vorträgen berieseln zu lassen, sind lokale Anknüpfungspunkte, lokale Initiativen bzw. Entwicklungsprozesse notwendig, um vom Hören, ins Planen und Tun zu kommen. Dazu braucht es Kulturschaffende mehr den je.
Worauf warten wir?