Selbst übersetzen!

Die Kulturpraxis der Selbst-Übersetzung setzt eine Verortung und sogar eine Bedeutung des handelnden Subjekts voraus. Neben der Arbeit an der (Selbst-)Bestimmung der eigenen Verortung und Bedeutung wird hier eine textuelle Form der Selbst-Inszenierung verlangt.

Die Befehlsform, die zugleich die Aufgabenstellung für KünstlerInnen, ChoreographInnen und Kollektive aus dem aktivistischen Bereich ist, Beiträge eines von Lilo Nein herausgegebenen Performance-Lesebuchs zur Aufführung zu bringen, spricht uns alle an.

Was könnte es bedeuten, (sich) selbst zu übersetzen? Mit dem Lesebuch wird ein Rahmen zur Verfügung gestellt, in dem geladene Personen, die mit performativen Strategien arbeiten, das Konzept der performativen Übersetzung anwenden. Der Aufruf verlangte „in eine Aufführung oder Handlung übersetzbare Notationen der ersten Performance [...], bei der die Teilnehmenden ihren ‚idealen Körper‘ verloren, abgelegt, wiedergefunden oder gegen einen subversiven Körper getauscht haben“; weiters zielte das Projekt auf eine Zusammenstellung von „[geschriebenen] Performances [ab], die mit diesem Moment zu tun hat, die bereits stattgefunden hat oder heute zum gegebenen Anlass erdacht oder aktualisiert wird“.

Die Kulturpraxis der Selbst-Übersetzung setzt eine Verortung und sogar eine Bedeutung des handelnden Subjekts voraus. Neben der Arbeit an der (Selbst-)Bestimmung der eigenen Verortung und Bedeutung wird hier eine textuelle Form der Selbst-Inszenierung verlangt. Da „Übersetzung“ mit Text/Sprache unzertrennlich verbunden zu sein scheint, haftet jede Konversation über den Akt der Übertragung, Wiedergabe, Darstellung, Transkription, Umwandlung, Umsetzung, Transliteration auf die eine oder andere Art an Sprachlichkeit. Die Gefahren und Risiken einer Übersetzung stellen die Übersetzenden in eine (oder am besten mehrere) prekäre Lagen: Sie bewegen sich auf dem unsicheren, sich ständig verändernden Boden von (mindestens) zwei Sprachen. Übersetzung ist also ein Unterfangen, das von einer permanenten Instabilität gekennzeichnet ist, und zwar eine, die auch die übersetzenden AkteurInnen selbst ins Schaukeln bringt.

Beliebigkeit und Bedingtheit der Bedeutung des Textes schleichen sich in die Leere zwischen den Sprachen ein. Hier wohnen auch die Auslassungen, die Unübersetzbarkeiten, die Versäumnisse = die eigene Imperfektion, das Über-Denken und Über-Legen während der Übertragung, der Adaptation. Von hier aus, in welche Richtung auch immer gewachsen, entstehen schließlich die provisorischen Ergebnisse. Das Provisorische weist auf das Temporäre – Kurzlebige/von Zeit Gezeichnete. Wenn dies so wäre, würde es bedeuten, dass eine Übersetzung sowohl räumlich („Leere“, das „Zwischen“) als auch zeitlich („provisorisch“) unsicher ist. Die einzige Sicherheit ist das Schaukeln (Geschaukelt-Werden), das uns als VerfasserInnen, LeserInnen, Ausführende, Interpretierende in Bewegung hält – vor, während und nach der Übersetzung. So ist Übersetzung als Praxis unmittelbar mit ethischen und politischen Projekten verbunden und bietet unendlich viele Möglichkeiten, mit diesen Bewegungen Macht- und Herrschaftsstrukturen zu hinterfragen, zu verletzen und zu deren Veränderung beizutragen.

In „The Politics of Translation“ schreibt Gayatri Spivak über eigene Aspekte des Selbst im Verhältnis zum Übersetzen. Im Rahmen der feministischen Analyse bezieht sie sich auf die intime Beziehung der Übersetzerin mit dem zu übersetzenden Text. Hier weist sie darauf hin, dass es hilfreich sein kann, wenn die Übersetzerin über intime Angelegenheiten in der Originalsprache sprechen kann, bevor die Übersetzung stattfindet (1).

Der Verweis auf Intimität bringt uns dem (physischen) Körper näher, der – ideal oder nicht – in jeder Übersetzung des Selbst sowie in Notationen und Beschreibungen von Performances (notwendigerweise?) fehlt. In „Selbst übersetzen!“, vor allem durch die Einbindung der Frage nach dem „idealen Körper“, widerhallt die Stimme (Sprache) des (eigenen) Körpers als ein weiteres instabiles Gebilde, das die Leere zwischen der Performance und dem Text, zwischen den zwei Sprachen, ebenfalls bewohnt.
Im Lesebuch sind keine Stimmen zu hören, außer die im eigenen Kopf, die Erinnerung an die Performance, die Überlegung der eigenen Performance nach den gebotenen Vorlagen. Eigenproduziertes Rauschen von Stimmen, Geräuschen und Hintergrundgeräuschen wird hervorgerufen, vermischt mit Bildern, die teilweise leicht übertragbar als Video-Stills oder Farbfotos erscheinen und teilweise etwas abstrakter in Form von Zeichnungen, Raumplänen, Textbeschreibungen.

Genug davon. Es geht hier schließlich um Kulturpraxen (gelesen hier im Kontext der oben angeführten Überlegungen) – und nun zu (einer kleinen Auswahl) der Selbst-Übersetzungen:

A performer enters a room. He/she writes
The following sentence on a black board:
LEAVE MY BODY OUT OF THIS
Shortly after, the performer leaves the room.

Julie Galsbo
LEAVE MY BODY OUT OF THIS (2006/2008)

Lass deinen Körper 30 Minuten lang leuchten
- so, dass er die Anwesenden erreicht, still berührt.

Victorine Müller
Lichtkörper (2009)

1. local post-master key
2. a building with a prospectively mind-blowing view – from the top
3. forget private property

Johanna Kirsch
1-2-3 – general master key system –
rock the rooftops – drop the fears“
variation (semi-legal) from the daily
self empowerment training for
„don’t worry, be space“ (2009)

1 „Before translating it might help if you have graduated into speaking, by choice or preference, of intimate matters in the language of the original.“ (Spivak 1993: 187)

Literatur

Nein, Lilo (Hg.) (2009): Selbst Übersetzen. Ein Performance Lesebuch zum Aufführen. Wien (Eigenverlag). Spivak, Gayatri (1993): Politics of Translation. Outside in the Teaching Machine. NY/London (Routledge), S. 187.

Erika Doucette ist Kulturarbeiterin und aktivistische Übersetzerin.