Urheberrecht muss vermittelt werden
Urheberrecht ist eine hoch komplexe und abstrakte Angelegenheit. Schon der Werkbegriff des Immaterialgüterrechts ist angewandte Metaphysik: Ein Werk ist nicht fassbar, es ist reiner Geist. In seinen Manifestationen wird das Werk zur Aufführung, Vervielfältigung oder Zurverfügungstellung.
Probleme der Vermittlung von Urheberrechtsfragen (nicht nur) in der Jugendarbeit.
Urheberrecht ist eine hoch komplexe und abstrakte Angelegenheit. Schon der Werkbegriff des Immaterialgüterrechts ist angewandte Metaphysik: Ein Werk ist nicht fassbar, es ist reiner Geist. In seinen Manifestationen wird das Werk zur Aufführung, Vervielfältigung oder Zurverfügungstellung. Eine beispielhafte Singer-Songwriterin wird rechtlich gespalten in Urheberin und Interpretin, jedes Alter Ego mit unterschiedlichen Rechten versehen. Es ist eine hohe Abstraktionsleistung erforderlich, um nur die Grundlagen des Urheberrechts zu verstehen. Selbst für erwachsene Menschen mit besten Voraussetzungen – Mittel- bis Oberschicht, gut ausgebildet – ist die Materie nicht leicht zugänglich. Wie geht es jugendlichen Musiker_innen damit? Wie geht es Jugendarbeiter_innen, welche versuchen, ihnen diese Thematik zu vermitteln?
Denn sie wissen nicht, was sie tun …
Es ist nicht verwunderlich, dass sich Jugendarbeiter_innen dabei schwer tun. Besonders für Jugendliche unter 20 Jahren ist die Materie zu kompliziert und zu abstrakt, als dass eine Theorielektion in den Köpfen der meisten andocken würde. Julia Boschmann vom Girls Rock Camp NÖ meint, für die im Schnitt 15-jährigen Mädels sei Urheberrecht etwas, das „nichts mit ihnen zu tun hat“, sie könnten die Informationen an keine Erfahrungswerte anknüpfen und daher nicht fassen. „Sie fühlen sich vom Thema nicht betroffen“, meint Harti Oberkofler über die Lehrlinge und Berufschüler_innen, welche er im Rahmen des KUS-soundproject betreut. „Sie haben von Urheberrecht keine Ahnung“, sagt Igor Bosnjakovic vom Jugendprojekt Back Bone. Alle drei erzählen, dass erst wenn es konkrete Anlässe gibt – das Aufführen von Covers, Anmeldungen bei Verwertungsgesellschaften oder eine Veröffentlichung, für welche etwa „geklaute“ Beats nicht verwendet werden dürfen –, das Thema fassbar wird.
Gerade „geklaute“ Beats sind ein Thema. Rap und HipHop sind groß bei vielen Jugendlichen, so äußert sich heute die Stimme der Straße. Doch woher die Beats kriegen? Igor erzählt, dass vor allem Rap-Einsteiger_innen häufig Beats aus YouTube-Videos konvertieren. Geht leicht. Das Bewusstsein, etwas Illegales zu tun, hätten sie nicht. Wenn nicht er sie darauf aufmerksam macht, woher sollen sie es wissen? Zu Igor kommen Jugendliche aus dem 20. Wiener Bezirk. Sie können ihn anrufen, einen Termin ausmachen und mit seiner Begleitung einen kleinen Proberaum mit Aufnahmemöglichkeit nutzen. 50-60 Jugendliche zwischen 15 und 21 Jahren machen das im Quartal. In die Tiefe geht er mit seinen Erläuterungen zu Urheberrecht und Verwertungsgesellschaften nicht, das bringe nichts: zu kompliziert, zu unübersichtlich. „Es gibt auch eine Sprachbarriere, zu viele Fremdwörter.“ Ein Infoblatt von der AKM, das läge er gleich wieder weg. Viel zu hochschwellig für seine Arbeit.
Auch in der Arbeit mit Jugendlichen, die tendenziell älter und besser informiert sind, ist die Vermittlungsaufgabe nicht leicht. So etwa in der wienXtra-jugendinfo. Ist ein Basiswissen gegeben, kommen oft Fragen, die entweder nicht eindeutig zu beantworten sind oder bei denen Theorie und Praxis auseinanderklaffen. So muss die Antwort auf die Frage, wie man die eigenen Werke schützen kann, mit dem Hinweis versehen werden, dass Klagen teuer und risikoreich sein können und dass trotz grundsätzlichem Urheberschutz eine Urheberschaft im Streitfall bewiesen werden muss. Erklärungen zu Verwertungsgesellschaften werden schwer angenommen, wenn man die Frage nach der Höhe von Lizenzgebühren und Tantiemen nicht kurz und bündig beantworten kann.
… woher auch?
Das Vermittlungsproblem betrifft nicht nur Jugendliche. Beim mica, einer Servicestelle für Musikschaffende, seien über ein Drittel aller Anfragen direkt oder indirekt Fragen zu Urheberrecht, erzählt Fachreferent Helge Hinteregger. Seiner Erfahrung nach hätten die meisten Musiker_innen, egal wie alt, „null check“. Informieren würden sie sich erst „wenn’s brennt“. Doch woher sollen sie Bescheid wissen? Sich über Urheberrecht zu informieren ist komplett der Eigenverantwortung des und der Einzelnen überlassen. Weder Musikunis noch Musikschulen haben Urheberrecht in ihren Unterrichtsplänen. Auch Jugendarbeiter_innen werden dahingehend nicht ausgebildet – alle erwähnten Personen, auch die Autorin dieses Artikels, sind Autodidakt_innen. Es fehlt an (verständlichen) Informationsmaterialien und Fortbildungen zum Thema.
Dies ist besonders virulent, da immer mehr urheberrechtlich problematische Praktiken den Alltag gerade junger Menschen durchdringen. Sie wachsen auf mit copy/paste, mit Downloads und Uploads, mit dem Verbreiten von Daten in sozialen Netzwerken. Woher sollen sie wissen, wo rechtlich die Grenzen gezogen werden? Es gibt kein intuitives (gar moralisches) Verständnis für diese Grenzen, das kann es nicht geben. Dafür ist die Rechtslage zu komplex und sind die technischen Möglichkeiten zu selbstverständlich, niederschwellig und verbreitet. Wie soll man intuitiv wissen, dass man ein bekanntes Lied privat seinen Freund_innen vorsingen, aber die Aufnahme dieses Ständchens nicht auf YouTube stellen darf?* Die Frage, welche dieser Praktiken in welchem Umfang kriminalisiert bzw. strafrechtlich verfolgt werden sollen, wird woanders diskutiert. Mitgedacht muss werden, wie die Menschen die betreffenden Gesetze kennen sollen. Gerade in einem Klima der Verschärfung gilt: Urheberrecht muss vermittelt werden.
*Erratum:
In der Printversion dieses Textes lautet das Beispiel, es sei erlaubt Lieder öffentlich live zu covern, aber nicht die Konzertmitschnitte dieser Darbietungen auf Youtube zu stellen. Das ist so nicht korrekt und ich entschuldige mich für diese Ungenauigkeit.
Die Sachlage ist, als passendes Beispiel für die Komplexität urheber- und verwertungsrechtliche Regelungen und deren Anwendung, höchst komplex:
- Was den Mitschnitt anbelangt, so ist dieser nur erlaubt, wenn er von den Interpret_innen genehmigt ist – nicht, wenn etwa jemand aus dem Publikum ungefragt die Darbietung mitschneidet und veröffentlicht.
- Geht es um einen Video-Mitschnitt, stellt sich die Frage, ob das entstandene audiovisuelle Material selbst Werkcharakter hat oder nicht. Wäre ein Werkcharakter gegeben (z.B. als eigenständiges Musikvideo oder wenn Martin Scorsese einen Dokumentarfilm über ein Konzert dreht) würde das unter das Sync-Right fallen und müssten die Urheber_innen schon der Schaffung dieses Werkes zustimmen, geschweige denn der Veröffentlichung.
- Was die öffentliche Darbietung eines Covers anbelangt (ob als öffentliche Aufführung live oder als öffentliche Zurverfügungstellung über einen Mitschnitt im Netz) so ist diese erlaubt, sofern sie über Lizenzzahlungen an die Urheber_innen abgegolten wird. Bei Live-Auftritten sind dafür die Veranstalter_innen verantwortlich, bei Zurverfügungstellungen im Web grundsätzlich die Betreiber_innen der jeweiligen Website. Im Fall von Youtube ist die Lage schwierig: Einerseits gibt es derzeit keine Zahlungen von Youtube an Verwertungsgesellschaften in Österreich und Deutschland (die Verhandlungen diesbezüglich laufen). Andererseits sind bei Youtube User_innen aktiv involviert, in dem sie Inhalte hochladen und die Nutzungsbedingungen von Youtube sie verpflichten, nur Inhalte hochzuladen, an denen sie die Rechte besitzen.
- Der Vollständigkeit halber sei auch auf den Unterschied zwischen Coverversionen und Bearbeitungen hingewiesen: Etwa wäre das Spielen einer Nummer von Metallica in einer Reggaeversion eine Bearbeitung, welche der Zustimmung der Urheber oder deren Verlag bedürfe.
Das Beispiel zeigt, wie komplex ein vermeintlich einfaches und weit verbreitetes Beispiel urheberrechtlich ist: der Mitschnitt einer Coverdarbietung auf Youtube. Wie sollen Leute, die sich nicht professionell mit solchen Fragen beschäftigen, diese Informationen haben – und verstehen? Urheberrecht muss vermittelt werden, quod erat demonstrandum.
Simone Mathys-Parnreiter arbeitet in der wienXtra-jugendinfo im Bereich Musikinformation. Redakteurin der kostenlosen Broschüre copy:right – Urheberrecht für junge MusikerInnen.
Links
www.jugendinfowien.at
www.soundbase.at
www.kusonline.at/de/menu_main/musik-machen
www.mobilejugendarbeit.at/back-bone-20/home.html
www.girlsrock.at
www.musicaustria.at